Eine Moitié-Moitié-Lösung für die Corona-Schulden der Schweiz

Marius Brülhart

Die Coronakrise dürfte den Schweizer Schuldenabbau der letzten Jahre weitgehend zunichtemachen. 40 Milliarden hatte der Bund seit 2005 abgestottert, und die Bruttoschulden auf 90 Milliarden Franken gedrückt.

Wie die Pandemie beim Bund in der Endabrechnung zu Buche schlagen wird, ist noch offen. Die zusätzlichen Aufwendungen dürften infolge der getätigten und der bewilligten Ausgaben für 2020 und 2021 irgendwo zwischen 25 und 35 Milliarden Franken zu liegen kommen. Gemäss der Prognosen der Eidgenössischen Finanzverwaltung werden die Bundesschulden Ende 2021 um 25 Milliarden höher ausfallen als unmittelbar vor der Krise.

Das klingt nach einem herben Rückschlag. Ist es aber nicht, aus zwei Gründen.

Erstens haben wir heute eine grössere nominale Wirtschaftsleistung als noch zu Jahrhundertbeginn. Die Bundesverschuldung als Anteil am Bruttoinlandprodukt wird daher nach Corona immer noch wesentlich tiefer liegen als beim Höhepunkt von 2005. Damals entsprachen die Bundesschulden 25% des Bruttoinlandproduktes. 2019 waren es noch 12%. Nach Corona dürfte dieser Anteil auf 16% ansteigen.

Der zweite Anlass zu Gelassenheit sind die tiefen Zinsen. Schulden kosten den Staat im Moment fast nichts. Während der Schuldendienst im Jahr 2005 immerhin noch etwa 7% der Bundesausgaben wegfrass – vergleichbar mit den gesamten Ausgaben für die Landwirtschaft –, brauchte der Bund im Jahr 2019 für diesen Zweck noch etwa 1% seiner Ausgaben, Tendenz weiterhin sinkend.

Aus finanzpolitischer Sicht gibt es daher keinen unmittelbaren Anlass zu Sorge wegen der Corona-Schulden.

Und dennoch könnte es sich als ein Fehler erweisen, die höheren Schulden tatenlos hinzunehmen. Wie sich in der aktuellen Krise zeigt, ist eine tiefe Staatsverschuldung die beste Versicherung gegen privatrechtlich nicht versicherbare Katastrophen. Zudem wissen wir nicht, wie lange die Zinsen noch um den Nullpunkt herumdümpeln werden.

Vor allem jedoch hat sich die Schweiz mit der Schuldenbremse selber dazu verpflichtet, ausserordentlichen Schuldenanstiege wieder zurückzuzahlen. Gemäss gültigem Gesetz hat dies gar binnen sechs Jahren zu geschehen. Das würde einschneidende Sparprogramme und/oder Steuererhöhungen bedingen.

Aber die Schuldenbremse ist flexibel ausgestaltet. Eine einfache Parlamentsmehrheit kann die sechsjährige Rückzahlungsfrist verlängern, und diese Mehrheit wird sich ohne Zweifel finden lassen.

Wenn man die Frist ausreichend verlängert, werden die neuen Schulden quasi von selbst wegschmelzen. Der Bund gibt in normalen Zeiten pro Jahr durchschnittlich rund eine Milliarde weniger aus als er einnimmt, da regelmässig «Budgetreste» übrigbleiben – ein völlig normales Phänomen und Ausdruck eines sorgfältigen Umgangs mit Steuergeldern. Somit würde es ohne neuerliche Krisen zwischen 25 und 35 Jahren dauern, bis die Corona-Schulden abbezahlt wären.

Viele Politiker hätten das Problem aber lieber schon früher erledigt.

Das ist durchaus machbar. Der Schlüssel liegt beim Ausgleichskonto, auf welchem die ordentlichen Überschüsse der vergangenen Jahre verbucht sind. Der Saldo dieses Kontos liegt derzeit bei 29 Milliarden. Theoretisch könnte man voraussichtlich die gesamten Corona-Schulden mit diesem Saldo verrechnen und einfach stehen lassen. Damit würde sich der nominale Schuldenstand der Schweiz dauerhaft erhöhen, aber relativ zum BIP wären die Schulden immer noch wesentlich geringer als vor 20 Jahren. Dem Verfassungsauftrag der Schuldenbremse wäre somit eigentlich entsprochen.

Allerdings ist kaum damit zu rechnen, dass sich eine Mehrheit für ein Belassen der Corona-Schulden aussprechen wird. Nichts sollte den Bund jedoch daran hindern, beispielsweise die Hälfte der Corona-Schulden auf das Ausgleichskonto zu verbuchen, und den verbleibenden Teil mit den üblichen Kreditresten zurückzuzahlen. Bei einer solchen Halbe-Halbe-Lösung wären die Corona-Folgen in den Bundesfinanzen budgettechnisch in voraussichtlich 11 bis 16 Jahren gelöst.

Konkret würde dies bedeuten, dass der Bund nach Rückzahlung der halben Corona-Schulden wieder die gleiche Freiheit zurückgewinnen würde, die er seit Einführung der Schuldenbremse geniesst: Er könnte die jährlich wiederkehrenden Budgetreste wie bisher für einen weiteren Schuldenabbau einsetzen, oder er könnte sie mittels einer Anpassung der Schuldenbremse für Steuersenkungen oder Ausgabenerhöhungen verwenden.

Dieser Ansatz gleicht dem jüngsten Vorschlag der Finanzkommission des Nationalrats, gemäss welchem nach einer fixen Anzahl Jahren («mindestens 15») die noch verbleibenden Corona-Schulden auf das Ausgleichskonto übertragen und somit stehengelassen würden. Es stellt sich also die Frage, was man besser heute schon festsetzt: Die Anzahl Jahre während derer strukturelle Budgetüberschüsse für Corona-Schuldenrückzahlung reserviert sind, oder den Anteil der Corona-Schulden, der zurückzuzahlen ist? Wenn man bei ersterem Ansatz die Dauer so bestimmt, dass schliesslich der gleiche Anteil der Corona-Schulden aufs Ausgleichskonto übertragen wird wie man bei letzterem Ansatz festlegt, dann sind die beiden Lösungen ungefähr gleichwertig.

Auch eine Mischform ist vorstellbar: Ein Teil der Corona-Schulden wird sofort mit dem Ausgleichskonto verrechnet, der Rest ist im Prinzip über eine fixe Anzahl Jahre mittels Kreditresten zurückzuzahlen, aber allfällig verbleibende Corona-Schulden am Ende dieser Periode würden ebenfalls auf das Ausgleichskonto übertragen.

Die wirklich entscheidende Frage lautet wie immer, wo der marginale Bundessteuerfranken am besten aufgehoben ist: bei der Schuldenrückzahlung, bei zusätzlichen Ausgaben, oder gar nicht erst im Bundeshaushalt sondern im Portemonnaie der Steuerzahler? Vor Corona sprach viel für eine Steuersenkung statt für weiteren Schuldenabbau. Die Corona-Krise hat nun den Wert einer tiefen Schuldenlast neu aufgezeigt. Schuldenrückzahlung geht jedoch immer auf Kosten von gegenwärtigen Staatsleistungen oder von Steuersenkungen. Eine «Moitié-Moitié»-Lösung würde diesen gegenläufigen Ansprüchen in gut helvetischer Manier gerecht.

STAF: Ein Kuhhandel, der einigermassen aufgeht

Fabian Schütz und Marius Brülhart

Am 19. Mai stimmen wir ab über das Steuerreform-AHV-Paket (STAF) – bekannt auch als parlamentarischer „Kuhhandel“.

Zentral ist dabei die Frage, ob der Handel für beide Parteien aufgeht: hier die grossen Aktionäre, die von der Steuerreform profitieren dürften, und dort der Rest der Bevölkerung, dem mit der AHV-Finanzierung geholfen werden soll.

Einer von uns beiden hat im vergangenen Sommer überschlagsmässig errechnet, dass sich die beiden Elemente des Pakets rein ökonomisch betrachtet nicht schlecht ergänzen. Die Umverteilung von unten nach oben bei der Steuerreform schien mittelfristig in etwa kompensiert zu werden durch die Umverteilung von oben nach unten beim AHV-Teil.

Wir haben diese Berechnungen nun etwas verfeinert, unterteilen die Bevölkerung aber nach wie vor alles andere als fein in Haushalte mit Einkommen im schweizweit obersten Dezil („Top-10“) und den Rest („U-90“).

Zum Steuer-Teil haben wir insbesondere folgende drei verteilungsrelevante Annahmen angepasst:

  • Wir berücksichtigen nun, dass die U-90 schätzungsweise 17% des schweizerischen Aktienkapitals direkt oder indirekt über Pensionskassen halten. Folglich profitieren auch die U-90 von Unternehmenssteuersenkungen.
  • Zusätzlich zu den Ausfällen bei der Unternehmenssteuern berücksichtigen wir Auswirkungen auf die Verrechnungs- und Dividendenbesteuerung.
  • Steuerausfälle auf Stufe Kanton und Gemeinden belasten die U-90 etwas stärker als die Top-10.

Die neuen Schätzungen sind in unten stehender Tabelle zusammengefasst.

Die Steuerreform kostet die U-90 gemäss dieser Schätzung 380 Millionen Franken. Den inländischen Top-10 hingegen fliessen 450 Millionen zu. Die Steuerreform allein hat also klar degressiven Charakter.

Um den degressiven Effekt im Sinne eines „sozialen Ausgleichs“ zu kompensieren, wurde die AHV-Vorlage an die Steuerreform gekoppelt.

Beim AHV-Teil haben wir die ursprüngliche Verteilungsschätzung in vier Punkten verfeinert:

  • Gestützt auf eine Metastudie nehmen wir an, dass mittelfristig 70% der Arbeitgeberbeiträge auf die Arbeitnehmer überwälzt werden.
  • Wir berücksichtigen nun, dass auf Top-10-Einkommen ein überproportional grosser Teil an AHV-Beiträgen abgeführt wird.
  • Bei der Aufteilung der gesicherten AHV-Renten berücksichtigen wir, dass die Top-10 Haushalte leicht mehr als 10% des gesamten Rentenvolumens beziehen.
  • Opportunitätskosten durch neu an die AHV gebundene Bundesausgaben werden analog zu den Steuerausfällen auf die beiden Gruppen aufgeteilt.

In der Summe kosten die Massnahmen zur AHV-Finanzierung die Top-10 ungefähr 280 Millionen, welche somit den U-90 zugutekommen. Der AHV-Teil der STAF ist also klar progressiv.

Im Total betrachtet kompensiert die progressive Wirkung des AHV-Teils die degressive Wirkung der Steuerreform nicht vollständig. Unter dem Strich gewinnen die Top-10 170 Millionen, und die U-90 verlieren knapp 100 Millionen. (Der Rest geht auf Kosten ausländischer Aktionäre.)

Pro-Kopf gerechnet bedeutet diese Schätzung einen Gewinn von rund 340 Franken bei den Top-10 Steuerzahlern und einen Verlust von 22 Franken bei den U-90. Ohne den AHV-Teil würden die Top-10 satte 900 Franken pro Kopf gewinnen und U-90 85 Franken pro Kopf verlieren.

Diese Berechnungen sind natürlich immer noch holzschnittartig. Der leicht degressive Nettoeffekt liegt im statistischen Streubereich. Wenn man beispielsweise eine Überwälzung der Arbeitgeberbeiträge auf die Löhne von 30% statt 70% annimmt, kommt man auf eine ausgeglichene Rechnung zwischen den beiden Gruppen.

Der ursprüngliche Hauptbefund hat jedenfalls Bestand: Der AHV-Teil der STAF bildet ein signifikantes Gegengewicht zur degressiven Verteilungswirkung der Unternehmenssteuerreform.

Mythos Wohneigentum

Marius Brülhart und Christian Hilber

In einem NZZ-Gastbeitrag haben wir unlängst dargelegt, wieso wir an der Besteuerung von Eigenmietwerten festhalten würden. Aus Platzgründen konnten wir dort nicht auf alle uns wichtigen Aspekte eingehen. Das holen wir nun nach.

Worum geht es? Die eidgenössischen Räte arbeiten derzeit an einer Vorlage für die Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung. Das würde die Hausbesitzer entlasten. Im Gegenzug sollen Hypothekarzinsen nicht mehr abgezogen werden können. Das wiederum täte den meisten Hausbesitzern weh. Viele Befürworter eines solchen Systemwechsels betrachten diesen daher als einigermassen neutral für die Hausbesitzer, sehen darin aber insbesondere den Vorteil, dass steuerliche Anreize zum Schuldenmachen wegfallen würden.

In unserem NZZ-Artikel legen wir dar, dass das neue System wahrscheinlich noch eigentümerfreundlicher wäre als das aktuelle System. Alle Hausbesitzer, derer steuerbarer Eigenmietwert die Abzüge für Unterhalt und Hypothekarzinsen übertrifft, würden von der Umstellung profitieren.

Wir plädieren für die Beibehaltung der Eigenmietwertbesteuerung, denn die einschlägige wissenschaftliche Literatur liefert gelinde gesagt wenig Argumente für eine stärkere Förderung des Wohneigentums.

Am Anfang dieser Diskussion steht also die Frage, ob und wieso Wohneigentum förderungsbedürftig ist.

Wohneigentumsförderung lässt sich aus ökonomischer Sicht dann begründen, wenn der freie Markt zu einer Unterversorgung führt. Dies ist der Fall, wenn Wohneigentum externe Nutzen schafft – das heisst Vorteile, die der gesamten Gesellschaft zugutekommen, in den Marktpreisen jedoch nicht abgegolten werden.

Empirische Analysen haben solche Effekte in der Tat nachgewiesen. Wohneigentümer investieren mehr in soziales Kapital als Mieter: Sie reden mehr mit Nachbarn, organisieren sich häufiger in Nachbarschaftsclubs und helfen sich generell öfter gegenseitig. Zudem halten Wohneigentümer ihre Immobilien in der Regel besser in Stand. Schliesslich bewirkt fremdfinanziertes Wohneigentum mit rückzahlbaren Hypotheken automatisches Sparen und hilft so, die Altersvorsorge eigenverantwortlich zu sichern.

Andererseits zeigen wissenschaftliche Studien auch externe Kosten des Immobilienbesitzes auf. So sind Wohneigentümer in der Regel weniger mobil als Mieter, was zu Fehlallokationen in Wohn- und Arbeitsmärkten führen kann. Forschung aus unserer eigenen Küche offenbart zudem, dass fremdkapitalfinanziertes Wohneigentum das kleine Unternehmertum hemmen kann, und dass Wohneigentümer tendenziell weniger in informelle berufliche Netzwerkpflege investieren. Schliesslich ist eine übermässige Hypothekarverschuldung ein Risikofaktor für die Stabilität der Finanzmärkte.

Ob externe Nutzen oder externe Kosten überwiegen, bleibt somit offen.

Klar ist, dass Steuervergünstigungen immer von irgendjemandem – in diesem Fall vor allem auch von den Mietern – kompensiert werden müssen. Zudem kann sich eine staatliche Wohneigentumsförderung sogar kontraproduktiv auswirken. Studien aus den Vereinigten Staaten zeigen, dass Steuervergünstigungen städtisches Wohneigentum paradoxerweise eher senken statt es zu erhöhen. Dies geschieht deshalb, weil die Eigentumsförderung in Gebieten mit Angebotsknappheit die Immobilienpreise erhöht, was wiederum Erstkäufern die notwendige Anzahlung an eine Hypothek erschwert.

Vor diesem Hintergrund liegt der Schluss nahe, dass das Steuersystem möglichst neutral ausgestaltet sein sollte. In der Schweiz wird Wohneigentum bereits begünstigt, durch tiefe Eigenmietwerteinschätzungen und grosszügige Unterhaltsabzüge wie auch durch Kapitalbezugsmöglichkeiten in der zweiten und dritten Säule.

Für eine noch stärkere Bevorteilung der Hauseigentümer gegenüber den Mietern gibt es kaum stichhaltige volkswirtschaftliche Argumente.

Auch ein Steuer-Rekord

Urs Birchler

Das Magazin Die Zeit hat eine regelmässige Kolumne „Was mein Leben reicher macht“. Ich hätte einen Beitrag unter dem Titel „Was mich ärmer, aber mein Leben reicher macht“.

Gestern abend mit frohem Mut an der Steuererklärung 2018. Da finde ich doch einen im 2017 Jahr nicht angegebenen Posten! Sofort Selbstanzeige per e-mail an die zuständige Steuerkommissarin. Genau gesagt: um 17:22. Heute früh die (nicht automatische und sehr freundliche) Antwort. Time-stamp 06:17. Wo gibt’s denn sowas?

Wer uns (d.h. die freundliche Steuerfrau) unterbietet, möge sich melden. Gerne auch aus dem Ausland.

[Für 1. August-Reden freigegeben.]

Der grosse NFA-Frieden

Marius Brülhart und Kurt Schmidheiny

Der Nationale Finanzausgleich (NFA), ein ewiger Zankapfel der Schweizer Politik, rückt 2019 noch stärker als sonst ins Rampenlicht. Gleich zwei NFA-Reformen stehen an: Eine neue Berechnungsmethode der kantonalen Finanzkraft im Zuge der Unternehmenssteuerreform und ein neues System zur Festlegung der Umverteilungssummen gemäss Vorschlag der Kantone.

Erstaunlicherweise stossen die beiden Vorlagen – immerhin der erste gewichtige Umbau des NFA seit seiner Einführung im Jahr 2008 – kaum auf Widerstand. Während der Unternehmenssteuerreform im Mai voraussichtlich eine zweite Bewährungsprobe an der Urne bevorsteht, scheint deren NFA-Komponente politisch unumstritten. Und der Vorschlag zum Systemwechsel bei der Umverteilung wurde im März 2017 von 21 Kantonen unterstützt, inklusive aller Geberkantone.

Trotzdem geht die Diskussion unter Ökonomen munter weiter. Uns Volkswirte interessieren neben den Verteilungswirkungen vor allem auch die gewollten und ungewollten Anreizwirkungen von Politikvorschlägen.

Der NFA bewirkt, dass es für Kantone weniger lukrativ ist, sich um neues Steuersubstrat zu bemühen. Jeder zusätzlich ausgewiesene steuerbare Franken kostet die Geberkantone nämlich eine Zusatzeinzahlung in den NFA-Topf respektive die Nehmerkantone eine Minderauszahlung aus demselben. Der Finanzausgleich fungiert somit als eigentlicher „Steuerwettbewerbs-Lusthemmer“. Das Mass für die lusthemmende Wirkung ist die Grenzabschöpfungsquote; diese erfasst den Anteil an jedem zusätzlichen kantonalen Steuerfranken, der via NFA gleich wieder verloren geht.

Im Bereich der Unternehmensbesteuerung sind die Grenzabschöpfungsquoten besonders hoch. In einer detaillierten Analyse haben Patrick Leisibach und Christoph Schaltegger von der Universität Luzern unlängst aufgezeigt, dass im aktuellen NFA fast die Hälfte der Kantone mit Grenzabschöpfungsquoten von über 100% konfrontiert sind, wenn sie Gewinne von ordentlich besteuerten Unternehmen anziehen. Für die Staatskasse dieser Kantone und ihrer Gemeinden sind zusätzliche Firmengewinne also ein Verlustgeschäft.

Die enormen Grenzabschöpfungsquoten auf Unternehmensgewinnen ergeben sich daraus, dass Gewinne im NFA gleich gewichtet werden wie Haushaltseinkommen, aber von den Kantonen viel tiefer besteuert werden. Nachdem die durchschnittlichen Firmensteuersätze in der Schweiz im Verlauf der letzten vier Jahrzehnte beinahe halbiert wurden, avancierte die Schweiz zu einem der weltweit steuergünstigsten Standorte für Firmengewinne und nach Irland zum zweitgrössten Magnet für buchhalterische Gewinnverschiebungen in Europa. Die Unternehmenssteuerreform sieht vor, diesem Umstand Rechnung zu tragen: Gewinne sollen tiefer gewichtet werden als Haushaltseinkommen, und zwar im Verhältnis der tatsächlichen Besteuerung. Unternehmensgewinne sollen so nur noch mit einem Gewicht von etwa einem Drittel in die Berechnung der kantonalen Finanzkraft einfliessen. Damit sinken auch die Grenzabschöpfungsquoten markant. Voraussichtlich würden nach einer Umsetzung der Reform nur noch die beiden Kantone Uri und Glarus Grenzabschöpfungsquoten von über 100% auf Unternehmensgewinnen zu gewärtigen haben.

Auch mit tiefer gewichteten Gewinnen mindert der Finanzausgleich noch den Anreiz der Kantone, ihr Unternehmenssteuersubstrat zu „pflegen“. Leisibach und Schaltegger schlagen deshalb vor, Unternehmensgewinne künftig gar nicht mehr in die Bestimmung der NFA-relevanten kantonalen Finanzkraft einzubeziehen. Damit läge die Grenzabschöpfungsquote für Unternehmensgewinne bei null.

Grenzabschöpfungsquoten grösser null sind aber durchaus sinnvoll, denn nicht jede Anstrengung eines Kantons zur Erhöhung des eigenen Steuersubstrats dient dem Gesamtwohl des Landes (geschweige denn der anderen Länder). Die Kantone rangeln nämlich nicht nur um mobile Firmengewinne aus dem Ausland, sondern auch – und dies erst recht nach der Abschaffung der Statusbesteuerung – um Firmengewinne aus anderen Kantonen. Aus der Finanzwissenschaft ist wohlbekannt, dass Steuerwettbewerb erstens eine zu tiefe durchschnittliche Besteuerung der besonders mobilen Steuerobjekte nach sich zieht und zweitens kleine Kantone gegenüber grossen bevorteilt. Als preisgesteuertes Mittel gegen die Erosion der Unternehmenssteuer im innerhelvetischen Wettbewerb hat der NFA somit durchaus eine ökonomische Berechtigung.

Zudem gilt es, neben den Anreizwirkungen die Verteilungswirkungen nicht aus den Augen zu verlieren. Die Unterschiede bezüglich der kantonalen Finanzkraft sind heute nämlich riesig. So reicht die aktuelle Finanzkraft (Ressourcenpotenzial pro Einwohner im Referenzjahr 2019) von 22‘000 Franken pro Einwohner im Kanton Jura bis 83‘000 Franken pro Einwohner im Kanton Zug. Die darin enthaltenen Gewinne der juristischen Personen umfassen eine noch grössere Spannbreite: von 3‘900 Franken pro Einwohner im Kanton Wallis bis 34‘300 Franken pro Einwohner im Kanton Zug. Diese enorme Ungleichverteilung würde bei der Nichtberücksichtigung der Unternehmensgewinne im NFA überhaupt nicht mehr kompensiert.

In einer neuen Studie zeigen wir auf, dass die beiden anstehenden Reformen zusammen betrachtet die interkantonalen Disparitäten noch leicht stärker reduzieren als das aktuelle System. Dass dies erreicht wird bei einer gleichzeitigen Entschärfung der Anreizproblematik, zeugt von einem durchdachten und ausgewogenen Reformbündel.

Friede herrscht!

Wassergesetz: Geht die Steuerrechnung auf?

Michel Habib und Urs Birchler

Das Referendum gegen das neue Wassergesetz des Kantons Zürich kommt voraussichtlich im Frühjahr 2019 vors Volk. Umstritten ist die mögliche Privatisierung, d.h. die vorgesehene Kompetenz der Gemeinden, ihre Wasserversorgung an eine juristische Person auszulagern. Interessant sind in diesem Zusammenhang die britischen Erfahrungen mit der Wasserprivatisierung in England und Wales seit den 1980er Jahren. Was können wir daraus lernen?

Eine häufige Kritik an der Privatisierung der Wasserversorgung behauptet eine Verschlechterung der Wasserqualität. Mit wenigen Ausnahmen (z.B. das Abführen von 1,4 Mrd. Liter Abwasser in die Themse durch Thames Water) scheint jedoch die Wasserqualität in Grossbritannien nicht schlechter als beispielsweise in Frankreich oder Deutschland. Es scheint daher, dass eine Regulierung die Qualitätsstandards in der Wasserindustrie ebenso gut durchsetzen kann gegenüber Managern, bzw. Aktionäre, die nach Gewinn streben, wie gegenüber Regierungsbeamten, bzw. Politikern, die auf Stimmen aus sind.

Eine auffälliger Zug der privatisierten englischen Wasser-Unternehmen ist jedoch die explosionsartige Zunahme der Verschuldung. Aus Sicht der Unternehmen ist diese verständlich: Schuldzinsen sind steuerlich abzugsfähig, und das stabile, d.h. risikoarme Geschäft mit dem Wasser erlaubt eine relativ hohe Verschuldung. Schulden-getriebene Steuerverluste einiger Wasser-Unternehmen sind von deren Eignern, oft Private-Equity-Firmen, anscheinend tatsächlich verwendet worden, um die Steuerrechnung für andere Unternehmen in ihrem Portefeuille zu mildern. Eine Beteiligung an Wasser-Unternehmen scheint gerade für jene Firmen interessant, die verrechenbare Erträge erwirtschaften.

Sollte sich die britische Entwicklung in Zürich wiederholen, könnte dieser Steuereffekt die Privatisierungserlöse teilweise wegfressen. Vorgesehen ist zwar, dass 51 Prozent des Eigentums in der Hand der Gemeinde bleiben soll. Der Mit-Erwerber eines teilprivatisierten Wasser-Unternehmens könnte dennoch seine Steuerlast erleichtern, indem das Unternehmen hohe Schulden aufnimmt und mit den Schuldzinsen andere Einnahmen kompensiert. Der Kanton verliert dadurch einen Teil dessen, was die Gemeinde mit der Privatisierung gespart hat.

Die Lektion für Zürich: Wenn nicht klare Effizienzgewinne einer (Teil-)Privatisierung vorliegen, bedeutet diese eher eine Einladung zum Financial Engineering auf Kosten des Kantons.
(Wer erinnert sich noch an die Verkäufe und das Zurück-Leasen der Zürcher Trams durch die VBZ?)

Ergänzungsleistungen (EL) und Vermögen

Monika Bütler

National- und Ständerat streiten um die – dringend notwendige – Reform der Ergänzungsleistungen (siehe NZZ und Tagesanzeiger, zum Beispiel). Ein Knackpunkt dabei ist die Anrechnung des Vermögens.

Heute beträgt der Freibetrag zum Bezug von EL 37‘500 Franken, das darüber hinausgehende Vermögen wird nur zu 1/10 (im Heim: 1/5) zum Einkommen gerechnet. Es ist somit möglich, EL zu beziehen mit einem Vermögen von deutlich über 100’000 Franken. Das ist aus verschiedenen Gründen heikel: Erstens, weil mit diesem partiellen Vermögensschutz die Erben auf Kosten der Steuerzahler versichert werden. Zweitens, weil eine solch komplizierte Regelung zu einer Bevorzugung von potentiellen EL Bezügern mit mehr Wissen (oder schlauen Kindern) führt. Zu guter Letzt widersprechen Zahlungen an Bezüger mit genügend Vermögen dem Sinn von bedarfsorientierten Leistungen.

Der Nationalrat möchte nun die Vermögensgrenze auf 100’000 Franken absenken und „übermässigen“ Verwendung des Kapitalbezugs aus der zweiten Säule mit einer 10% Strafkürzung auf den EL belegen. (In Klammern, aber wichtig: Es wäre besser gewesen, die Vermögensanrechnung bei EL zur IV anders zu behandeln als die EL zur AHV. Für die IV wäre eine höhere Vermögensgrenze angemessen, da es hier nicht um den Schutz der Nachkommen geht, sondern um die eigene künftige Lebensgrundlage der Versicherten.)

Unbestritten hat das schweizerische Sozialversicherungssystem starke Anreize für einen Kapitalbezug aus der zweiten Säule (siehe hier und hier und hier). Das durch die EL garantierte Einkommen liegt rund 1000 Franken pro Monat über der AHV-Maximalrente. Wer eine relativ kleine Rente aus der Pensionskasse und kein Privatvermögen hat, fährt mit dem Barbezug fast immer besser als mit der Rente. Besser fahren auch diejenigen mit einer kürzeren Lebenserwartung – oft Menschen, die nicht so Glück hatten im Leben,

Die Anreize kommen allerdings nicht nur von den EL; die steuerliche Belastung des Kapitalbezugs ist in den meisten Kantonen ungleich tiefer als die Steuerlast auf den PK Renten. Salopp gesprochen bestraft man Leute, die vorher wegen tieferen Steuern zum Barbezug gelenkt wurden (wobei auch die Pensionskassen wegen überhöhten Umwandlungssätzen keine Veranlassung sehen, dies zu ändern).

Eine Anrechnung vergangener Ausgaben ist heikel, rechtlich und praktisch. Abgesehen von Schenkungen an die Nachkommen: Wie soll der Staat beurteilen, welche Ausgaben „unnötig“ waren, wann der Verbrauch des Kapitals „vorzeitig“ war? Vielleicht wurde das PK Kapital bezogen, um eine vorzeitige Pensionierung aus gesundheitlichen Gründen zu finanzieren (und die IV zu schonen)? Vielleicht war die Bezügerin krebskrank zum Zeitpunkt der Pensionierung? Ausser in wenigen klaren Fällen (Schenkungen an Kindern, Immobilienerwerb) ist die Beurteilung eines vorzeitigen Verbrauchs der PK Guthaben willkürlich und anmassend.

Was tun? Es ist sinnvoll – wie vorgeschlagen – die Vermögensgrenze zu senken. Die EL sind nicht dazu da, die Erben zu schützen. Die Vermögensgrenze bei den EL zu AHV hätten man noch weiter senken können und dafür die partielle (für viele zu komplizierte) Anrechnung des Vermögens als Einkommen fallen lassen. Wer zuerst den Grossteil des Vermögens abbauen muss, wird sich seine Anschaffungen/Ausgaben gut überlegen – ob mit oder ohne Kapitalbezug aus der PK.

PS1: Vielleicht überlegen sich ja die PolitikerInnen auch einmal, ob es wirklich sinnvoll ist, den Kapitalbezug steuerlich zu subventionieren – um ihn dann später wieder zu bestrafen.

PS2: Hausbesitz kompliziert die Analyse ein wenig. Es gibt aber genügend Ideen (zBsp Rückzahlung der EL bei der Veräusserung/Vererbung des Hauses), damit umzugehen.

 

Passen die Steuerreform und die AHV-Reform letztlich doch zueinander?

Marius Brülhart

In einer ersten Überschlagsrechnung zur Unternehmenssteuer-plus-AHV-Reform kam ich kürzlich zum Schluss, dass diese Vorlage signifikant zu Lasten von Haushalten in den unteren 90 Einkommensperzentilen („Untere-90“) an die oberen 10 Prozent („Top-10“) umverteilen würde.

Angesichts der politischer Brisanz einer solchen Diagnose sollte meine holzschnittartige Analyse daraufhin geprüft werden, ob sie auch bei einem etwas feineren Ansatz zum gleichen Schluss führt.

Insbesondere gilt es, dynamische Wirkungen der Steuerreform zu berücksichtigen, denn die betroffenen Firmen werden zweifelsohne auf Steuersatzänderungen reagieren. Zudem sollte man dem Anteil ausländischer Anteilseigner an Schweizer Unternehmen Rechnung tragen, denn ein beträchtlicher Teil der von Schweizer Unternehmenssteuern direkt Betroffenen ist gar nicht in der Schweiz ansässig.

Zu den dynamischen Wirkungen hat die Eidgenössische Steuerverwaltung eine detaillierte Studie publiziert. (Volle Offenlegung: David Staubli, einer der beiden Autoren, ist ein ehemaliger Mitarbeiter meiner Abteilung an der Universität Lausanne.) Diese Studie bringt willkommenes Licht ins Dunkel der Unternehmenssteuerreform, und schafft somit Vertrauen in die Arbeit unserer Regierung und Verwaltung. Die Studie deckt eine Vielzahl von Szenarien ab, je nach angenommener Steuerempfindlichkeit der ausgewiesenen Firmengewinne, Entwicklung der Steuersätze in den Kantonen und in anderen Ländern, und diverser anderer Annahmen, über welche grosse Unsicherheit besteht.

Im Parlament arbeitet man zur Zeit mit einem geschätzten steuerreformbedingten Einnahmenausfall von 2.1 Milliarden Franken. Dieser Wert entspricht ungefähr der statischen Schätzung der ESTV-Studie. Aber handelt es sich dabei auch um die relevanteste Zahl?

Gemäss dem zentralen dynamischen Szenario der ESTV-Studie zöge die Steuerreform für bereits heute ordentlich besteuerte Unternehmen mittelfristig eine Steuerersparnis von 3.4 Milliarden Franken nach sich – ein geraumer Mitnahmeeffekt für die Aktionäre normaler Schweizer Unternehmen. Die aktuellen Statusfirmen hingegen würden gegen 2.7 Franken zusätzlich in die Staatskasse einzahlen, denn ihre Steuerbelastung würde ansteigen. Der mittelfristige Unternehmenssteuerausfall würde somit rund 0.7 Milliarden Franken betragen, das heisst ein Drittel der meist zitierten 2.1 Milliarden. Ich nehme hier einmal an, dass die Folgen solcher Einnahmeausfälle alle Einkommensgruppen ungefähr gleich belasten, was gerundet -0.6 Milliarden ergibt für die Unteren-90 und -0.1 Milliarden für die Top-10.

Die ESTV-Studie berücksichtigt zusätzlich „induzierte Effekte“ über einkommensbedingte Steuereinnahmen und kommt damit sogar auf einen positiven Nettoeffekt der Steuerreform für die Staatskasse. Angesichts der noch grösseren Unsicherheiten bei der Schätzung der induzierten Effekte und derer Verteilungswirkungen blende ich diese hier vorerst einmal aus.

Somit stellt sich noch die Frage, welcher Anteil der Gewinnsteuerersparnisse in der Schweiz bleiben würde, und welcher Anteil ausländischen Aktionären zugutekäme. Gemäss Angaben aus dem Eidgenössischen Finanzdepartement fliesst weit über die Hälfte der in der Schweiz ausgewiesenen Gewinne an ausländische Investoren. Ich nehme darauf abstützend einen Ausländeranteil von 60 Prozent bei den ordentlich besteuerten Unternehmen und von 80 Prozent bei den Statusfirmen an.

Die mittelfristigen Wirkungen der Unternehmenssteuerreform verteilen sich demgemäss folgendermassen:
• Aktionäre im Ausland: -0.1 Milliarden (= 0.8 x -2.7 Milliarden + 0.6 x 3.4 Milliarden)
• Top-10 Schweiz: +0.7 Milliarden (= 0.2 x -2.7 Milliarden + 0.4 x 3.4 Milliarden – 0.1 Milliarden)
• Untere-90 Schweiz: -0.6 Milliarden

Die Unternehmenssteuerreform erweist sich also auch in dieser Betrachtung als degressiv, aber die Umverteilung von unten nach oben ist weniger ausgeprägt als in der rein statischen Analyse.

Gemäss meiner Überschlagsrechnung kostet die AHV-Reform die Top-10 0.8 Milliarden Franken und beschert den Unteren-90 0.8 Milliarden. (Man kann das auch anders rechnen als ich es tat, indem man die 0.9 Milliarden aus der Mehrwerts- und direkten Bundessteuer als gegeben betrachtet und die Opportunitätskosten auf der Ausgabenseite aufteilt, und indem man die implizite Progressionswirkung bei den Lohnprozenten einbezieht. Das resultierende Umverteilungsergebnis bleibt dann in etwa dasselbe.)

Siehe da: Die Gewinne und Verluste der beiden Vorlagen kompensieren sich fast genau. Somit erscheint der Steuerreform-AHV-Deal nun verteilungsmässig einigermassen neutral.

Dies ist natürlich immer noch eine grobe Schätzung. Was könnte den Befund wiederum kippen?

Zum einen würde eine Berücksichtigung der induzierten Effekte der Steuerreform (via eine wachsende Lohnsumme) den Gesamteffekt noch stärker zu Gunsten der Unteren-90 ausfallen lassen.

Zum anderen hätte insbesondere eine Fehleinschätzung des internationalen steuerpolitischen Umfelds gravierende Folgen für die Analyse. Die ESTV-Studie geht davon aus, dass die Steuern für multinationale Firmen an Konkurrenzstandorten ebenfalls ansteigen werden. Wäre dem nicht so, würde aus der dem simulierten dynamischen Steuerausfall von 0.7 Milliarden ein Loch von bis zu 3.1 Milliarden (bei unveränderten Steuersätzen im Ausland), was natürlich vor allem die Unteren-90 zu spüren bekämen.

Dennoch: Unter plausiblen dynamischen Annahmen scheint sich die Intuition der ständerätlichen Kompromiss-Schmiede zu bestätigen. Auf den zweiten Blick passen die beiden Reformen zumindest in verteilungspolitischer Hinsicht gar nicht so schlecht zueinander.

Wer bezahlt den Steuerreform-AHV-Deal?

Marius Brülhart

Im Mai hat der Ständerat vorgeschlagen, die beiden grössten wirtschaftspolitischen Reformpojekte – Unternehmenssteuern und AHV – nach den gescheiterten Volksabstimmungen des Vorjahres im Kombi-Pack neu aufzulegen. Die Einnahmenausfälle einer etwas entschärften Steuerreform würden, so lautet der neue Slogan, Franken um Franken kompensiert durch zusätzliche Gelder für die AHV. Der Vorschlag scheint bislang auf geraume Zustimmung quer durch die Bundesratsparteien zu stossen.

Dieser Konsens ist beinahe verdächtig: Alle sehen sich offenbar als Gewinner, obwohl – oder gerade weil – die diskutierten Reformen komplexe und milliardenschwere Finanzflüsse umlenken.

Ein möglicher Grund ist, dass die wahrscheinlichen Verlierer der Reformen in der politischen Diskussion untervertreten sind: die Jungen.

Gemäss einer anderen Lesart der Geschehnisse irren sich gewisse Politiker schlicht und einfach, wenn sie in der Kombination der beiden Reformen einen „sozialen Ausgleich“ erkennen. Michael Hermann hat es folgendermassen auf den Punkt gebracht: „Bald wird klar sein, dass eine Sanierung der AHV durch die Allgemeinheit keine Kompensation für Steuererleichterungen bei den Unternehmen ist“.

Eine – wenn nicht die – zentrale Frage in dieser Debatte betrifft also wie so oft die Verteilungswirkungen: Wer wären unter dem Strich die Gewinner, und wer würde verlieren?

Zur Befriedigung meiner eigenen Neugier habe ich dazu eine erste, überaus grobe, Schätzung versucht. Und trotz geraumem Fehlerrisiko, wage ich es, diese mit der geneigten Batz-Leserschaft zu teilen.

Meine Überschlagsrechnung gestaltet sich wie folgt.

Teilen wir die Schweizer Bevölkerung auf in die obersten 10 Prozent der Steuerzahler („Top-10“) und den Rest („Untere-90“). Erstere Kategorie entspricht gemäss Bundessteuerstatistik ungefähr Ehepaaren mit einem steuerbaren Einkommen über 150‘000 Franken und Einzelhaushalten mit einem steuerbaren Einkommen über 80‘000 Franken. Alle anderen gehören zu den Unteren-90.

Nehmen wir nun der Einfachheit halber an,
1. dass alle Arbeitgeber und Aktionäre zur Top-10-Kategorie gehören,
2. dass die Top-10-Haushalte die gesamten direkten Bundessteuern begleichen, und
3. dass die Unteren-90 die gesamten Mehrwertsteuern begleichen.

Unter der ersten Annahme gehören die Gewinner der Unternehmenssteuerreform allesamt zu den Top-10. Diesen kommen also gemäss ständerätlicher Schätzung 2.1 Milliarden Franken an Steuererleichterungen zugute. Die Unteren-90 bekommen in dieser simplistisch statischen Sicht nichts ab von der Steuerreform.

Der Hauptteil der neuen AHV-Mittel, nämlich 1.2 Milliarden, soll gemäss Vorschlag durch 0.3 zusätzlichen Lohnprozente erhoben werden – je hälftig über Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge. Nehmen wir an, diese Zusatzkosten werden effektiv von den jeweiligen Rechnungsempfängern getragen und nicht überwälzt. Dann kosten die Lohnprozente Top-10 und Untere-90 je 0.6 Milliarden. (Die Umverteilung innerhalb der AHV von Versicherten oberhalb der rentenbildenden Beitragsschwelle an den Rest der Bevölkerung ist gemäss existierender Schätzungen übrigens ziemlich gering.)

Hinzu kommen für die AHV-Finanzierung gemäss Vorschlag ein um 0.4 Milliarden höherer Bundesbeitrag, gestemmt in erster Linie von den Top-10; plus 0.5 zusätzliche Mehrwertssteuermilliarden, hauptsächlich zu Lasten der Unteren-90.

Auf der Positivseite meiner Rechnung gilt es noch, die neu gesicherten Einnahmen von 2.1 AHV Milliarden aufzusplitten. Ich nehme an, sie kommen zu 90% den Unteren-90 zugute, womit diese 1.9 Milliarden und die Top-10 0.2 Milliarden erhalten würden.

Somit habe ich die nötigen Zahlen für meine summarische Rechnung:
• Top-10: +2.1 Milliarden aus der Steuerreform, +0.2 Milliarden gesicherte AHV, -0.6 Milliarden für AHV Lohnprozente, -0.4 Milliarden für AHV Bundesbeitrag
= +1.3 Milliarden netto
• Untere-90: +1.9 Milliarden gesicherte AHV, -0.6 Milliarden für AHV Lohnprozente, -0.5 Milliarden Mehrwertssteuer
= +0.7 Milliarden netto

Die Top-10 gewinnen also 0.6 Milliarden mehr als die Unteren-90. Angesichts der Tatsache, dass die Unteren-90 per Definition neun Mal zahlreicher sind als die Top-10, bedeuten meine Ergebnisse, dass der durchschnittliche Top-10-Haushalt beinahe 17 Mal mehr profitieren würde als der durchschnittliche Untere-90-Haushalt.

Nicht einberechnet ist hier die Verteilungswirkung des 2.1-Milliarden-Einnahmenausfalls durch die Steuerreform. Ein Einbezug dieses Faktors würde die Rechnung wohl noch stärker zu Ungunsten der Unteren-90 ausfallen lassen.

Soweit sieht der Reformvorschlag also nach einem schlechten Geschäft aus für die unteren und mittleren Einkommensschichten.

Das Bild könnte sich insbesondere verändern, wenn man allfällige dynamische Wirkungen der Steuerreform einbezieht. Ich werde darauf in einem späteren Beitrag noch im Detail eingehen.