Mythos Wohneigentum

Marius Brülhart und Christian Hilber

In einem NZZ-Gastbeitrag haben wir unlängst dargelegt, wieso wir an der Besteuerung von Eigenmietwerten festhalten würden. Aus Platzgründen konnten wir dort nicht auf alle uns wichtigen Aspekte eingehen. Das holen wir nun nach.

Worum geht es? Die eidgenössischen Räte arbeiten derzeit an einer Vorlage für die Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung. Das würde die Hausbesitzer entlasten. Im Gegenzug sollen Hypothekarzinsen nicht mehr abgezogen werden können. Das wiederum täte den meisten Hausbesitzern weh. Viele Befürworter eines solchen Systemwechsels betrachten diesen daher als einigermassen neutral für die Hausbesitzer, sehen darin aber insbesondere den Vorteil, dass steuerliche Anreize zum Schuldenmachen wegfallen würden.

In unserem NZZ-Artikel legen wir dar, dass das neue System wahrscheinlich noch eigentümerfreundlicher wäre als das aktuelle System. Alle Hausbesitzer, derer steuerbarer Eigenmietwert die Abzüge für Unterhalt und Hypothekarzinsen übertrifft, würden von der Umstellung profitieren.

Wir plädieren für die Beibehaltung der Eigenmietwertbesteuerung, denn die einschlägige wissenschaftliche Literatur liefert gelinde gesagt wenig Argumente für eine stärkere Förderung des Wohneigentums.

Am Anfang dieser Diskussion steht also die Frage, ob und wieso Wohneigentum förderungsbedürftig ist.

Wohneigentumsförderung lässt sich aus ökonomischer Sicht dann begründen, wenn der freie Markt zu einer Unterversorgung führt. Dies ist der Fall, wenn Wohneigentum externe Nutzen schafft – das heisst Vorteile, die der gesamten Gesellschaft zugutekommen, in den Marktpreisen jedoch nicht abgegolten werden.

Empirische Analysen haben solche Effekte in der Tat nachgewiesen. Wohneigentümer investieren mehr in soziales Kapital als Mieter: Sie reden mehr mit Nachbarn, organisieren sich häufiger in Nachbarschaftsclubs und helfen sich generell öfter gegenseitig. Zudem halten Wohneigentümer ihre Immobilien in der Regel besser in Stand. Schliesslich bewirkt fremdfinanziertes Wohneigentum mit rückzahlbaren Hypotheken automatisches Sparen und hilft so, die Altersvorsorge eigenverantwortlich zu sichern.

Andererseits zeigen wissenschaftliche Studien auch externe Kosten des Immobilienbesitzes auf. So sind Wohneigentümer in der Regel weniger mobil als Mieter, was zu Fehlallokationen in Wohn- und Arbeitsmärkten führen kann. Forschung aus unserer eigenen Küche offenbart zudem, dass fremdkapitalfinanziertes Wohneigentum das kleine Unternehmertum hemmen kann, und dass Wohneigentümer tendenziell weniger in informelle berufliche Netzwerkpflege investieren. Schliesslich ist eine übermässige Hypothekarverschuldung ein Risikofaktor für die Stabilität der Finanzmärkte.

Ob externe Nutzen oder externe Kosten überwiegen, bleibt somit offen.

Klar ist, dass Steuervergünstigungen immer von irgendjemandem – in diesem Fall vor allem auch von den Mietern – kompensiert werden müssen. Zudem kann sich eine staatliche Wohneigentumsförderung sogar kontraproduktiv auswirken. Studien aus den Vereinigten Staaten zeigen, dass Steuervergünstigungen städtisches Wohneigentum paradoxerweise eher senken statt es zu erhöhen. Dies geschieht deshalb, weil die Eigentumsförderung in Gebieten mit Angebotsknappheit die Immobilienpreise erhöht, was wiederum Erstkäufern die notwendige Anzahlung an eine Hypothek erschwert.

Vor diesem Hintergrund liegt der Schluss nahe, dass das Steuersystem möglichst neutral ausgestaltet sein sollte. In der Schweiz wird Wohneigentum bereits begünstigt, durch tiefe Eigenmietwerteinschätzungen und grosszügige Unterhaltsabzüge wie auch durch Kapitalbezugsmöglichkeiten in der zweiten und dritten Säule.

Für eine noch stärkere Bevorteilung der Hauseigentümer gegenüber den Mietern gibt es kaum stichhaltige volkswirtschaftliche Argumente.

3 thoughts on “Mythos Wohneigentum

  1. Meines Erachtens gibt es ein ziemlich gutes ordnungspolitisches Argument für die Abschaffung des Eigenmietwerts und der kompensierenden Abzüge. Der Entscheid, ob man Wohnraum mieten oder kaufen will, soll vom Staat nicht beeinflusst werden, insbesondere wenn es für Staatseingriffe keine rechtfertigenden externen Effekte gibt. Als weg mit Eigentmietwert und weg mit Abzügen für Hypothekarzinsen und Unterhalt.

  2. Ich finde das auch ein gutes Kriterium. Der Haken an der Sache ist, dass der Staat den Kauf-vs-Miete-Entscheid auch beeinflusst, wenn Eigenmietwert und Hypoabzüge entfallen. Wenn alle Kapitalerträge ausser dem (Real-) Ertrag des Eigenheims der Einkommenssteuer unterliegen, wird Wohneigentum gegenüber anderen Vermögensanlagen steuerlich bevorzugt.

  3. Bemerkenswert ist, dass dieses Thema erst in der aktuellen Niedrigzinsphase angesprochen wurde. Es ist davon auszugehen, dass die meisten zu versteuernden Eigenmietwerte derzeit die Abzüge für Unterhalts- und Hypothekenzinsen übersteigen.
    Wetten, dass es in einigen Jahren, wenn die Zinsen wieder steigen, wieder für den Eigenmietwert plädiert wird?

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