Im Apfelstrudel des Strukturwandels

Urs Birchler

Der Tagesanzeiger meldet, die Grossbäckerei mit dem phantasievollen Namen Groba AG müsse mehr als die Hälfte ihrer Stellen abbauen. Mein Gott! Dort war doch (vor bald einem halben Jahrhundert) mein erster Studentenjob! In einer Backstube am Zürcher Kreuzplatz fabrizierte Groba gefrorene Apfelstrudel für die Marke Findus. Die gewürfelten Äpfel kamen in grossen Büchsen. Dahinter stand irgendwie die Alkoholverwaltung, die verhindern wollte, dass die Äpfel verschnapst wurden.

Erinnern kann ich mich an den Chef und seine Frau, die gelegentlich mit dem grauen Pudeli zu Besuch kam, welches aber nicht an den Apfelstückli schnuppern durfte. Die Belegschaft bestand grösstenteils aus einer Gruppe Frauen, die jeweils in aller Herrgottsfrühe mit dem Minibus aus dem Thurgau herbeigefahren wurden für Fr. 3.50 die Stunde. Dazu die beiden Studenten: Ein Grieche, dessen Namen ich leider vergessen habe, und ich, beide für je Fr. 7.– die Stunde. Wir studierten beide Wirtschaft im selben Semester. Die in der Vorlesung mit einem Ohr vernommene Idee, dass Löhne etwas mit Produktivität zu tun hätten, kam uns in der Backstube nachhaltig abhanden. Die Thurgauerinnen berserkten den ganzen Tag und steckten mit blossen Händen gefrorene Strudel in die vorgefertigten Schachteln.

Was der Grieche und ich mit dem doppelten Lohn zum BIP beitrugen, ist mir nicht mehr in der notwendigen Schärfe erinnerlich. Auf dem mit Mehl eingestäubten Tisch, wo der Teig ausgewallt werden sollte, zeichneten wir jedenfalls mit dem Finger Grafiken zu den Aufgaben vom Proseminar am Vortag, Ich sehe noch deutlich, wie ich dem noch ahnungsloseren Kollegen erklärte, warum sich Indifferenzkurven nicht schneiden können (was sogar in den Zeiten der behavioral economics noch zu gelten scheint). Als uns der Chef ertappte, entliess er den Griechen. In einer Aufwallung von internationaler Arbeitersolidarität schleuderte ich ihm meine Kündigung auch gleich ins Gesicht.

Und jetzt baut die Groba AG wieder ab. Ironischerweise, weil der wichtigste Kunde von Frischbackwaren auf gefrorenes Zeug umstellt. Also auf das, was „wir“ damals herstellten. Wir Weitblickenden.

One thought on “Im Apfelstrudel des Strukturwandels

  1. Der folgende Satz brachte mich zum schmunzeln: „Die in der Vorlesung mit einem Ohr vernommene Idee, dass Löhne etwas mit Produktivität zu tun hätten, kam uns in der Backstube nachhaltig abhanden.“ Unter anderem in diesem Punkt brachte ich Theorie und Alltagserfahrung auch nie zusammen. Wenn schon, dann verhält sich dieser Zusammenhang invers. Aber wie nur lässt sich das erklären?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert