FINMA, Fuss!

Urs Birchler

Trockener kann ein Staatsstreich nicht mehr daherkommen. Im Telegrammstil: Der Nationalrat unterstützt Vorschläge, wonach der Finanzwachhund FINMA enger an die Kette des Parlaments (oder gar des Finanzdepartements) zu nehmen sei. Hintergrund: Die FINMA übt selber fast gesetzgeberische Funktionen aus, indem sie die durch Verfassung und Gesetzgebung vorgegebene Linie mittels zahlreicher Rundschreiben präzisiert. Sie tut dies in Eigenregie, ohne obrigkeitliche Kontrolle (die Betroffenen können allerdings ein Rundschreiben anfechten). Dabei sind Rundschreiben zunehmend kompliziert, was Banken und andere Finanzmarktteilnehmer nervt.

Geschossen wird aus verschiedenen Rohren:

Die Parlamentarier wollen der FINMA offenbar den Schneid beim Erlass von Rundschreiben abkaufen, jedenfalls von solchen, „die weiter gehen als das, was das Parlament beschlossen hat“.

Zu den Fakten: Die FINMA veröffentlicht rund ein halbes Dutzend Rundschreiben pro Jahr. Wer noch nie eines gesehen hat, möge zum Beispiel das jüngste besichtigen: Risikoverteilung — Banken. Es geht tatsächlich ins Detail. Beispiel: Wann sind zwei Gegenparteien verbunden, d.h. bei der Risikobeurteilung als eine Partei zu betrachten? Nur — die Frage stellt sich halt. Und ist halt knifflig. [Selbsttest für Leser(innen): Wie würden Sie Abhängigkeit definieren? Erst dann einen Blick aufs Rundschreiben werfen. Ich garantiere: Sie werden verblüfft sein, woran man alles denken muss.]

Die FINMA sieht, anders als manchmal die Unterstellten, die Rundschreiben nicht als Folterinstrument, sondern als Form der Selbstbindung: Sie

bezwecken eine einheitliche und sachgerechte Praxis der Aufsichtsbehörde bei der Anwendung der Finanzmarktgesetzgebung. FINMA-Rundschreiben konkretisieren offene, unbestimmte Rechtsnormen und beinhalten Vorgaben für die Ermessensausübung.

Im übrigen ist die FINMA längst nicht die einzige Quelle detailversessener Rundschreiben. Ihre Schwesterbehörde im Verkehrswesen beispielsweise, das Bundesamt für Verkehr (BAV), erlässt ebenfalls Rundschreiben und Richtlinien. Darin geregelt sind neben zahllosen technischen Details wie das Profil von Zahnrädern auch die Schriftgrössen auf Stationsbeschilderungen, die (minimale) Lautstärke von Lautsprechern oder die Liste und Grenzwerte der den Lokomotivführer(inne)n verbotenen Substanzen (inkl. Normen für die Gläser zur Entnahme von Urinproben). Dass das BAV dem UVEK, also einem Departement, untersteht, während die FINMA vom EFD weitgehend (nicht aber finanziell!) unabhängig ist, macht offenbar beim Detaillierungsgrad keinen grossen Unterschied. Die Gemeinsamkeit ist: Die Welt ist kompliziert geworden und mit ihr die Spielregeln.

Das Parlament liebäugelt jedoch mit einer „Reprise en main“ auf Kosten der Unabhängigkeit der FINMA. Dabei haben der IWF in seinem letzten Länderexamen der Schweiz (2012) und das Financial Stability Board (2014) gerade punkto (ungenügender) Unabhängigkeit der FINMA einen Tolggen im Schweizer Reinheft gefunden und den Bundesrat (nicht die FINMA) für die schlechte Formulierung im Gesetz kritisiert.

Warum jetzt den Wachhund trotzdem an die kurz Leine nehmen? Nicht — was ich verstehen könnte — weil er bei den Grossen eher bellt, bei den Kleinen eher beisst. Mein Verdacht ist ein anderer: Im Hintergrund wirkt die fehlgeleitete Überzeugung einzelner Politiker, wonach die FINMA für die Konkurrenzfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz zuständig sei. Erhellend ist die vom Tages-Anzeiger NR Martin Landolt zugeschriebene Aussage, „die Finma lobbyiere [z.B. im Basler Ausschuss] international hinter ihrem [der Grossbanken] Rücken für härtere Bankenregeln“. Hier ging bei mir der Aalarm los. Ich habe jahrelang miterlebt, wie die ausländischen Aufseher im Basler Ausschuss zwar vordergründig für strengere Auflagen, aber mit deutlich mehr Ehrgeiz (und mildem Lächeln für die prüden Schweizer) für eine Sonderbehandlung ihrer einheimischen Banken gekämpft haben. Herausgekommen ist der faule Kompromiss namens Basel 2, der die Finanzkrise mindestens nicht verhindert hat. „Hinter dem Rücken der Banken“ gefällt mir schon als Formulierung hervorragend: Einzelne Politiker verstehen offenbar die FINMA als rechenschaftspflichtig gegenüber den Banken, d.h. als Schosshund, nicht als Wachhund.

Anstatt die FINMA zurückzupfeifen, könnte das Parlament dem Lande (und den Banken) einen anderen Dienst erweisen: Anständig zu legiferieren (dann bräuchte es auch weniger Rundschreiben) und uns künftig mit gesetzgeberischen Bastelarbeiten wie dem (wievielten jetzt?) Entwurf zum FIDLEG zu verschonen.

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