70 Franken süsses Gift

Monika Bütler

Das erste Mal in der 70 (!) jährigen Geschichte der AHV kommt eine vorgeschlagene Rentenverbesserung nur einer Gruppe von Rentnern und Rentnerinnen zu. Den Neurentnern. Das mag auf den ersten Blick unwichtig klingen, ist es aber nicht. Die Schweiz ist eines der ganz wenigen Länder mit einer universellen 1. Säule. Es gibt keine Spezialregelungen für Militärangehörige, die Polizei, Politikerinnen, Feuerwehrleute, oder Lehrerinnen: alle erhalten die AHV Rente nach dem genau gleichen Prinzip. Bisher mindestens.

Sollte es nach dem Willen des Ständerates gehen, ist damit bald Schluss. Die NeurentnerInnen sollen 70 Franken mehr pro Monat erhalten. Und dies obwohl die Massnahmen zur Sicherung der Alterssicherung für viele dieser Empfänger noch gar nicht gelten.

Ich habe es ehrlich gesagt nicht für möglich gehalten, dass eine solch ungerechte, primär aus abstimmungstaktischen Motiven entstandene Vorlage die Differenzbereinigung zwischen den Räten überleben würde. Auch wenn niemand wirklich an Argumenten interessiert zu sein scheint, hier nochmals die wichtigsten Punkte.

Die Ungleichbehandlung verletzt den Gleichbehandlungsgrundsatz der 1. Säule und öffnet so Tür und Tor für weitere Sonderbehandlungen in der Zukunft. Die Gleichbehandlung ist aber eine wichtige Komponente für den Zusammenhang der Versicherung. Weshalb nicht höhere Renten für Städter, weil dort das Leben so teuer ist. Oder für Landbewohner, weil diese auf ein Auto angewiesen sind.

Der Neurentenbonus ist ungerecht. Viele der heutigen Rentner hatten noch eine wenig ausgebaute berufliche Vorsorge. Obwohl sie aus der 2. Säule eine deutlich geringere Rente erhalten als viele künftige Rentner, kriegen Sie keinen Zustupf. Die Parlamentarier scheinen zudem nicht zu wissen – oder wollen einfach nicht wissen – dass ein Grossteil der in den letzten paar Jahren pensionierten Menschen bereits empfindliche Einbussen durch die Senkung des Umwandlungssatzes haben hinnehmen müssen. Auch diese Rentner erhalten keine Kompensation.

Die 70 Franken pro Monat haben eine miserable Zielgenauigkeit. Ein Grundsatz guter Sozialpolitik ist, dass die Massnahmen möglichst denjenigen zu Gute kommen, die sie am meisten benötigen. Nur ein Bruchteil der Kosten der 70 Franken (im Endausbau 2 Milliarden Franken pro Jahr) gehen an die armen Alten. Diejenigen, die gemäss heutigem Reglement EL beziehen können, nach den geplanten Rentenerhöhungen aber über der EL Berechtigungsgrenze liegen, verlieren sogar. Weil sie in diesem Fall mehr medizinische Leistungen aus der eigenen Tasche bezahlen müssen und weil auf den Renteneinkommen – im Gegensatz zur EL – Steuern entrichtet werden müssen.

Mit den 70 Franken begünstigt der Ständerat seine eigene Generation (zwischen 45 und 65, verheiratet). Es ist schon ein wenig störend, dass ausgerechnet die im Parlament am besten vertretene Bevölkerungsgruppe des Landes von der Massnahme am meisten profitiert: Finanziell gutgestellte (meist verheiratete) Babyboomers – Männer und Frauen, links und rechts. Die Erhöhung der Rente für Verheiratete gehört ins gleiche Kapitel. Auch die heutigen Jungen sollen die 70 Franken erhalten, heisst es jeweils. Doch bis die heutigen Jungen ins Rentenalter kommen, haben sie ein Vielfaches dieser 840 Franken pro Jahr bezahlen müssen.

Die mit den 70 Franken versüsste Unterstützung der Reform könnte nach hinten raus gehen. Dann nämlich, wenn die heutigen über 65 jährigen realisieren, dass sie vom Zuschlag nichts erhalten, die Kosten der Reform aber über eine höhere Mehrwertsteuer mitfinanzieren müssen. Bisher wurde das Ausbleiben des Zuschlags von 70 Franken an die Ü65 von den Befürwortern sehr schlank kommuniziert. Das könnte sich rächen. Immerhin ist sich die wissenschaftliche Literatur ziemlich einig: Ungleichbehandlungen werden nicht goutiert, selbst wenn den heutigen Rentner direkt nichts weggenommen wird.

Mit den Mehrkosten liessen sich deutlich vernünftigere Reformen finanzieren: Zum Beispiel eine Erhöhung der Mindestrente in der AHV. Ich habe zu wenig Angaben, um die 70 Franken für alle in eine Erhöhung der Mindestrente umzurechnen: Mindestens 140 Franken sind es mindestens, es dürften aber eher 200-300 Franken pro Monat sein. (PS: Es sind – vom BSV nachgerechnet – 450 Franken pro Monat!) Von einer Erhöhung der Mindestrente würden zudem diejenigen am meisten profitieren, die heute im Alter die höchste Armutsgefährdung aufweisen: Die alleinstehenden Männer und Frauen (deren Altersrente im Durchschnitt 17% tiefer ausfällt als die Altersrente der Witwen).

 

3 thoughts on “70 Franken süsses Gift

  1. Danke für diesen wichtigen Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion. Aus meiner Sicht gäbe es zwei weitere Möglichkeiten, den ärmeren Rentnern zu helfen:
    1. AHV und Pensionskasse nur zu 80% versteuern oder Rentnern einen Abzug gewähren. Im Kanton Bern bezahle ich als Rentnerin mit einem Nettoeinkommen von Fr. 20’000.- Fr. 3400.- an Steuern. Zuviel.
    Eine zweite Möglichkeit wäre, die Limite für den Empfang von EL niedriger anzusetzen. Mit den Ergänzungsleistungen kommt man in den Genuss vieler zusätzlicher Vergünstigungen, die den Rentnern bedeutend mehr bringen als die Fr. 70.- im Monat.

  2. @FranziskaMoser
    1) würde eine weitere Ungleichbehandlung zwischen einkommensarmen Rentnern und einkommensarmen Nichtrentnern einführen. Aber ich bin mit Ihnen einverstanden: Die steuerliche Belastung auf den niederen Einkommen ist in vielen Kantonen zu hoch. Besser eine Steuerbefreiung des Existenzminimums: https://batz.ch/2011/01/steuerbefreiung-des-existenzminimums/
    2) Die Befreiung des Existenzminimums von Steuern würde auch die Ungleichbandlung zwischen EL und nicht EL Bezügern etwas entschärfen. Und über die zusätzlichen Vergünstigungen sollte ohnehin einmal diskutiert werden. Es ist störend, dass Leute gerade unterhalb der EL Grenze gar nichts erhalten.

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