NZZ-Wirtschaftsredaktion im Elfenbeinturm?

Urs Birchler

Gratulation an meine Mit-Batzer Marius Brülhart, Gebhard Kirchgässner und Monika Bütler! Sie sind alle drei unter den einflussreichsten Schweizer Ökonomen.

Ob „einflussreichst“ auch bedeutet, dass jemand zuhört? Der Kommentar zum Ökonomenranking in der NZZ von Jürg Müller (5.9.2015, S. 15) weckt Zweifel. Jürg Müller beklagt zwar, „wie sehr die Ökonomen den Gang in die Öffentlichkeit scheuen“. Und ganz dick: „Bei zukunftsweisenden Fragen wie beispielsweise dem demographischen Wandel und der Migration … geht [die öffentliche Debatte] ohne materielle Mitwirkung der Wirtschaftsforscher über die Bühne.“ Gerade hier hätte er schon bei batz.ch (und das ist eine kleine Welt) einiges gefunden von Uwe Sunde (Demographie und Staatsverschuldung), Monika Bütler (Demographie und Umverteilung oder 2), Monika Engler (Demographie und Staatsfinanzen) und anderen.

Der Artikel beweist nur, dass die Ökonomen, wenn sie denn den Gang an die Öffentlichkeit wagen, offenbar nicht gelesen werden — jedenfalls nicht von Jürg Müller und einigen seiner Kollegen bei der NZZ.

Nicht, dass wir den Elfenbeinturm nicht kennten. Man lese dazu Monika Bütler in der Volkswirtschaft. Doch müssen Professoren in erster Linie unterrichten und Forschen. Im Vergleich zur 20-köpfigen Wirtschaftsredaktion der NZZ — die wirtschaftskundigen Redaktoren anderer Ressorts nicht mitgezählt — machen die rund hundert vollamtlichen Wirtschaftprofessoren an den Schweizer Universitäten der Deutschschweiz, deshalb eine gute Figur in den Medien. Vielleicht nicht immer in den schweizerischen.

Hier klemmt es nämlich. Ein Beispiel: Monika Bütler zeigte vor rund fünf Jahren in einem Aufsatz mit schweizerischen Daten, dass Ergänzungsleistungen die Anreize so verzerren, dass bei der Pensionierung eher Kapital als Rente gewählt wird. Eine Kurzfassung des Artikels wurde u.a. auch der NZZ angeboten. Seither hat diese Forschung der Autorin Einladungen an die Wharton School, nach Singapur, Australien und Holland eingebracht. In der Schweiz blieb das Interesse gering trotz explodierenden Kosten bei den Ergänzungsleistungen.

Jürg Müller spekuliert, die Schweizer Ökonomen seien sogar schuld, dass „in jüngster Zeit unsinnige Vorlagen auf Zustimmung der Bevölkerung gestossen sind [er meint die Stimmbürger]. Hat er die Beiträge zur Goldinitiative von Aleksander Berentsen (1) und mir (2, 3, 4, 5, 6) gelesen? Oder zur Erbschaftssteuer Marius Brülhart (1, 2, 3) und Monika Bütler (1, 2, 3)?

Jürg Müller beklagt, „dass nur allzu oft längst überholte Theorien die Richtung vorgeben.“ Stimmt — Beispiel NZZ. Es gibt in der empirischen Finance ein Ergebnis, das an Robustheit kaum mehr zu überbieten ist: Aus den vergangenen Bewegungen der Aktien- oder Devisenkurse, lassen sich keine gewinnbringenden Prognosen ableiten. Dies hindert die NZZ nicht daran, wöchentlich fast eine Seite der chartechnischen Kaffeesatzlektüre zu widmen und uns vor herannahenden Todespunkten und dergleichen Mumpitz zu warnen.

„Ökonomen sollten die Studierstube wieder einmal verlassen.“ Ein solcher Satz kann nur in einer zu gut geheizten Redaktionsstube entstanden sein.

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