Steuerwettbewerb in der Schweiz: Ein Auslaufmodell?

Marius Brülhart und Kurt Schmidheiny

Was geneigte Batz-Leser schon lange wussten und Avenir Suisse bestätigt hat, wird nun auch vom Bundesrat anerkannt: Der Finanzausgleich schränkt die Anreize für aggressiven Steuerwettbewerb massiv ein. Im eben erschienenen Wirksamkeitsbericht 2012-2015 zum Finanzausgleich zwischen Bund und Kantonen hält der Bundesrat fest, dass „ein ressourcenschwacher Kanton beim geltenden (progressiven) Umverteilungsmechanismus des Ressourcenausgleichs wenig Anreize hat, sein Ressourcenpotential zu steigern“ (S. 9). Die Grenzabschöpfungsquote, d.h. der Anteil vom mittels erfolgreicher Standortpolitik angelocktem Steuersubstrat welcher via Finanzausgleich verloren geht, beläuft sich bei den Empfängerkantonen auf „im Durchschnitt rund 80 Prozent“.

Es ist also, als würden einem erfolgreichem Empfängerkanton pro frisch angezogenem Steuerfranken 80 Rappen vom Bund und den anderen Kantonen gleich wieder weggenommen. Im politischen Sprachgebrauch gelten solche Steuersätze als „konfiskatorisch“, und man geht gemeinhin davon aus, dass sie so ziemlich jeglichen Ansporn zu wirtschaftlicher Leistung unterbinden.

Angesichts dieser Tatsache mag es erstaunen, dass der Bundesrat in seinem Communiqué zum Wirksamkeitsbericht gleichzeitig feststellt, dass sich der Steuerwettbewerb seit der Neuordnung des Finanzausgleichs im 2008 „eher intensiviert“ hat. Haben die Kantone denn nicht verstanden, dass sich strategische Steuersenkungen kaum bezahlt machen? Oder spielten andere Faktoren mit, welche die Anreizeffekte des Finanzausgleichs neutralisierten?

Diese Fragen schlüssig zu beantworten, ist nicht leicht. In unserer Hintergrundstudie für den Wirksamkeitsbericht erklären wir das Paradox folgendermassen: „Es ist methodisch unmöglich, den scheinbar verstärkten Steuerwettbewerb schlüssig auf die NFA zurückzuführen, denn wir verfügen über keine ‚Kontrollgruppe‘. Die leichte Aufstockung der Mittel in der NFA gegenüber dem alten System könnte durchaus einen Anteil zu den beobachteten Tendenzen beigetragen haben. Zudem ist denkbar, dass die Grenzabschöpfungsquoten vor der NFA noch höher gelegen hatten [diese sind für den alten Finanzausgleich schlicht nicht berechenbar]. Andererseits boten auch die Konjunktur und Nationalbankausschüttungen den Kantonen gleichzeitig mit der NFA-Einführung finanzpolitischen Spielraum für Steuerermässigungen. Die überdurchschnittlichen Steuersenkungen der Empfängerkantone hatten überdies bereits vor 2008 eingesetzt und scheinen daher zumindest nicht allein von der NFA ausgelöst worden zu sein.“ (S. 3)

Etwas spekulativ könnte man daraus schliessen, dass der Appetit auf Steuerwettbewerb im heutigen System langfristig nachlassen dürfte, da die Kantonsmehrheit auf der Empfängerseite die Mechanik des neuen Finanzausgleichs zu berücksichtigen gelernt hat. Zudem stehen die konjunkturellen Vorboten heute auch nicht so prächtig wie vor zehn Jahren, was die Lust auf Hau-Ruck-Steuersenkungen weiter hemmen dürfte.

Fast alle in unserer Hintergrundstudie benutzten Daten können Sie übrigens auf der Internetseite fiscalfederalism.ch selbst analysieren, und dies sowohl für natürliche Personen wie auch für juristische Personen. Als Appetitanreger auf die Darstellungsmöglichkeiten unseres Daten-Tools hier eine Grafik, die anhand der Kantone Neuenburg, Obwalden und Schwyz zeigt, wie sich die Anzahl lukrativer Steuerzahler im umgekehrten Verhältnis zur Steuerbelastung verändert hat. In unserer Studie schätzen wir die durchschnittliche Steuerelastizität von Haushalten im obersten Einkommensdezil auf -0.6. Reiche Haushalte können somit tatsächlich mittels Steuersenkungen angelockt werden – allerdings längst nicht in einem Ausmass, welches erlauben würde, die Steuern zu senken, ohne Einnahmeausfälle in Kauf nehmen zu müssen. Auch diese Erkenntnis deutet darauf hin, dass aggressive Steuersenkungen keine besonders zukunftsträchtige Strategie darstellen.

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