Labor Schweiz: fiscalfederalism.ch

Marius Brülhart, Monika Bütler, Mario Jametti und Kurt Schmidheiny

Kein anderes Land ist institutionell und politisch so vielfältig wie die Schweiz. Ganz besonders ausgeprägt ist diese Vielfalt bei den öffentlichen Finanzen. Unsere 26 Kantone und gegen 2‘500 Gemeinden geniessen weltweit einmalige Freiheiten bei der Festlegung ihrer Steuern und der Verwendung ihrer Steuereinnahmen. Dieses dezentrale Staatsgebilde – wenn auch kein Allerheilmittel – ist fester Bestandteil des schweizerischen Selbstverständnisses und hat zweifelslos Anteil an der Stabilität und am wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes.

Für eine Untergattung der Spezies Mensch ist der helvetische Fiskalföderalismus zudem eine ganz besonders willkommene Bescherung: den empirischen Wirtschaftswissenschaftler (männlichen wie  weiblichen Geschlechts und – wie es sich für die Schweiz gehört – in allen Landesteilen vertreten). Nichts ist für den angewandten Forscher nämlich so wertvoll wie die Kombination von vielen und langen Datenreihen. Da die Schweiz schon seit geraumer Zeit in ziemlich unveränderter Form existiert, bietet sie im Prinzip lange Beobachtungshorizonte; und dank ihrer dezentralen Organisation offeriert sie potentiell eine grosse Zahl an Beobachtungseinheiten – ein ideales statistisches Labor also.

Der Haken an der dezentralen Organisation ist allerdings, dass wirtschaftspolitische Daten oft nur auf lokaler Ebene erhoben und aufgehoben werden. Um das „Labor Schweiz“ so richtig wissenschaftlich nutzen zu können, muss daher vieles an statistischem Rohmaterial erst in den Kantonen und Gemeinden eingesammelt werden. Eben diese Datensammlerei ist zentraler Bestandteil eines Nationalfondsprojektes, welches wir seit 2010 gemeinsam leiten.

Um die Früchte unserer Arbeit einem breiten Publikum zugänglich zu machen (und zur Feier der kürzlich vom Nationalfonds gewährten Projektverlängerung um weitere drei Jahre!), haben wir eine neue Internetseite eingerichtet: fiscalfederalism.ch. Dort werden wir unsere Forschungsergebnisse laufend publizieren und auch neues Datenmaterial ablegen.

Als Zückerli sei dem geneigten Batz-Leser schon einmal unsere gestaltbare Datenanimation empfohlen, mittels welcher die Entwicklung der kantonalen Steuerlandschaft seit 1996 nach Belieben dargestellt werden kann.

Verfolgen Sie zum Beispiel die Entwicklung des Kantons Schwyz hin zum Steuerparadies für Gutverdienende – hier ein Screenshot, auf fiscalfederalism.ch jedoch in dynamischer Ausführung zu geniessen.

 SZParadies

3 thoughts on “Labor Schweiz: fiscalfederalism.ch

  1. Ein sehr interessantes Projekt – es hat einen angemessenen batzen aus dem Nationalfonds verdient!

    Vor allem auch deshalb, weil sich durch diese öffentlich zugängliche Website, sich jedermann selbst ein Bild davon machen kann. Sonst erfährt man solche Informationen nur aus unseren „neutralen“ Medien.

    Das Animationstool ist ziemlich cool! Es lassen sich die Daten schnell und einfach darstellen. Die möglichen Schlussfolgerungen daraus überraschen jedoch zum Teil sehr – was mich ein wenig verunsichert. Sind also meine folgenden Interpretationen richtig?

    1. Das „Median Reineinkommen“ ist das Einkommen in der Mitte, wenn alle Einkommen der Steuerzahler im Kanton der Grösse nach sortiert sind (Bsp.: 1,3,10 Median wäre 3). Je mehr das „Mittlere Reineinkommen“ vom „Median Reineinkommen“ abweicht, desto mehr Gutverdienende gibt es in diesem Kanton?

    2. Wenn ich das Animationstool mit den senkrechten Balkendiagramm mit dem „Steuersatz Median Einkommen (Familie)“ anschaue, fallen die Steuersätze in einigen Kantonen ab dem Jahr 2004 abrupt ab. Um danach auf einem sehr tiefen Niveau zu verbleiben. Heisst das, dass in den betroffenen Kantonen, Familien mit einem „Median Einkommen“ praktisch keine Steuern zahlen, gemessen am Reineinkommen?

  2. 3. Die Erläuterung zum „Mittlere Reineinkommen“: Es ist einfach die Summer der Reineinkommen dividiert durch Anzahl Steuerpflichtiger in einer Gemeinde. Danach werden die Durchschnittswerte der Gemeinden in einem Kanton summiert und durch die Anzahl Gemeinden im Kanton geteilt?

    4. Eine weitere Ergänzung wäre interessant: Zusätzlich zu den Top-1% und Top-25% auch noch die Tiefsten-1% und Tiefsten-25%. So würde sich doch zeigen, ob es die viel behauptete Lohnschere wirklich gibt (zumindest im Zeitraum 1996 bis 2011).

    Eine Frage zum Tool: Was kann ich mit den Funktionen „Log“ und „Lin“ beeinflussen bzw. für welche Darstellungen kann ich diese verwenden?

    Freue mich auf Ihre Antworten!
    Freundliche Grüsse
    Herr Meyer

  3. Lieber Herr Meyer

    Vielen Dank für Ihr Interesse an unserem Projekt und Ihre Kommentare.

    Ad 1: Sie beschreiben das sehr gut. Das Median-Einkommen ist so definiert, dass 50% der Haushalte eines Kantons weniger und 50% mehr Einkommen haben. Wir betrachten hier die Verteilung für alle Haushaltstypen gemeinsam (Singles, Verheiratete, Junge, Rentner, …). Weil das mittlere (= durschschnittliche) Einkommen über dem Median-Einkommen liegt, wird die Verteilung rechtschief genannt, d.h. die hohen Einkommen sind sehr hoch. Das beobachtet man eigentlich für alle Einkommensverteilungen weltweit.

    Ad 2: Das Median-Einkommen (aller Haushaltstypen) ist schweizweit im Jahr 2004 CHF 47’900. Es steigt vorher relativ stark an, stagniert dann zwei Jahre und steigt danach wieder. In der Tat werden solche Einkommen mit immer tieferen Steuersätzen besteuert. Dies liegt vor allem an immer höheren Steuerfreibeträgen.

    Ad 3: Das „Mittlere Reineinkommen“ ist einfach der Durchschnitt (= arithmetisches Mittel) der Reineinkommen aller Steuerzahler eines Kantons.

    Ad 4: Die Entwicklung der Ungleichheit in der Einkommensverteilung ist ein sehr spannendes Thema. Mein Kollege Ben Jann von der Universität Bern untersucht dies anhand der gleichen Daten in einem verwandten Nationalfondsprojekt. Sie finden eine ähnliche animierte Grafik auf seiner Projektseite: http://inequalities.ch/?page_id=6.

    Beste Grüsse,

    Kurt Schmidheiny

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