Sind Professor(inn)en Mimosen?

Monika Bütler

Kolumne in der NZZ am Sonntag, 4. November (veröffentlicht unter dem Titel: Professoren wollen nicht mehr an die Öffentlichkeit; Angst vor Anfeindungen, Forschungsdruck – Rückzug in den Elfenbeinturm ist schlecht)

 Warum machst Du das bloss?», fragten mich zwei Kolleginnen kürzlich anlässlich einer Konferenz. Dabei mache ich gar nichts Unanständiges. Ich hatte nur erzählt, dass wir – eine Gruppe von Volkswirtschaftsprofessoren an den Universitäten Zürich, Lausanne und St. Gallen – einen Blog betreiben; ein Online-Forum zu aktuellen wirtschaftspolitischen Fragen, das ab und zu auch für Aufregung sorgt. Etwa wenn der Chef einer Grossbank selber einen Kommentar auf dem Blog hinterlässt. Oder wenn Beiträge von der Presse aufgenommen werden – freundlich oder weniger freundlich.

Die mögliche Aufregung fanden meine Kolleginnen fast schon bedrohlich. Zwar sind beide keine stereotypen Modellschreinerinnen im Elfenbeinturm, sondern international beachtete Forscherinnen mit relevanten Themen. Zum Beispiel: Wie reagieren Individuen auf aktive Arbeitsmarktmassnahmen? Führt eine Erhöhung des Rentenalters zu mehr Arbeitslosigkeit? Wie unterscheidet sich die Sozialhilfeabhängigkeit zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen? Themen, die auch die Allgemeinheit interessieren. Gleichwohl ist ihnen Öffentlichkeitsarbeit nicht geheuer.

Warum die Zurückhaltung? Zum einen frisst Öffentlichkeitsarbeit der Forschung wertvolle Zeit weg. Sie kostet sogenannten Impact, das heisst Zitate in vielzitierten Publikationen – die Einheitswährung im Forschungsbetrieb. Da ist privates Schreiben und öffentliches Schweigen Gold. Allgemein verständliche Aufsätze zu schreiben oder mit den Medien zu reden, ist bestenfalls Blei. Dieses zieht nach unten: Jede Minute verlorene Forschungszeit rächt sich: weniger Forschungsgelder, tieferes Ansehen, noch weniger Forschungszeit, usw. Attraktiv bleibt die Öffentlichkeitsarbeit für jene, die in der Forschung nichts zu verlieren haben – nicht immer die besten Ratgeber des Volkes.

Die öffentliche Sprechhemmung vieler Kollegen liegt, zum andern, auch an der Angst vor Anfeindungen und Angriffen. Besonders ausgeprägt ist dies in Disziplinen, in denen sich wissenschaftliche Inhalte nicht so leicht von politischer Meinung unterscheiden lassen. In den Sozialwissenschaften riecht – anders als in den meisten Naturwissenschaften – ein Forschungsergebnis oft gleich nach Politik. Jede(r) ist Experte für das Rentenalter oder die Sozialhilfeabhängigkeit. So löst schon das Wort «Anreiz» gereizte Reaktionen aus. Immer.

Sind Forscher Mimosen? Zur Wissenschafts- und Meinungsäusserungsfreiheit gehört nämlich auch die Bereitschaft, Kritik – selbst unfaire – zu ertragen. Obschon noch immer davon überzeugt, kamen mir in den letzten Monaten Zweifel. Medienschelte ist das eine; sie zeigt immerhin, dass man gelesen wird. Was aber, wenn Forscher für ihre Aussagen nicht bloss kritisiert, sondern auch rechtlich zur Verantwortung gezogen werden? So wie kürzlich die Seismologen in Italien. Oder wenn unter tatkräftiger Mithilfe aus den Universitäten vertrauliche Interna in den Medien breit getreten werden. Nicht aufzufallen, ist immer noch der beste Schutz.

Traurige Ironie: Dank einer grösseren Forschungsorientierung sind die Schweizer Universitäten in den letzten Jahren qualitativ viel besser geworden; gleichzeitig verbreiteten sich die Gräben zwischen Akademie und Öffentlichkeit. Ausgerechnet in einer Zeit, in der wir am meisten von der Forschung lernen könnten, schweigen viele Wissenschafter. Und jeder Angriff ist – je nach Standpunkt – guter Grund oder billiger Vorwand für ein weiteres Stockwerk im Elfenbeinturm.

Es liegt an allen Seiten, den Dialog lebendig zu erhalten und Gräben zu überbrücken. Professoren sollten ihr Wissen der Öffentlichkeit zugänglich machen können, bevor diese fragt: «Was machen die bloss?» Die Professoren, die sich die Mühe machen, mit der interessierten Öffentlichkeit zu reden, sollten sich anderseits nicht ständig fragen müssen: «Warum mache ich dies bloss?»

9 thoughts on “Sind Professor(inn)en Mimosen?

  1. Die Nichtbeteiligung der Wissenschaft am öffentlichen Diskurs geht zudem einher mit einer gewissen Abneigung, kontradiktorisch zu diskutieren. In Sachen Kartellgesetz sind bspw. anachronistische Entwicklungen im Gang, die jedem halbwegs vernünftigen Wettbewerbs- und Regulierungsökonom die Haare zu Berge stehen lassen sollten. Doch (fast) keiner meldet sich zu Wort….

  2. Sie sprechen mir aus dem Herzen.
    Dass Öffentlichkeitsarbeit – professionell betrieben – eine Chance ist, haben wohl gerade Professorinnen und Professoren leider noch nicht verstanden. Die „falsche“ Eitelkeit ist im Zeitalter der Transparenz kaum der richtige Ansatz. Künftig werden diejenigen Unternehmen/Institute erfolgreich sein, die offen und transparent kommunizieren und auch bereit sind, sich einer kritischen Auseinandersetzung zu stellen.

  3. …warum sich dem Pöbel aussetzen die es ja immer besser wissen dies ist wie beim Fussball,ein Schiedsrichter und XX tausend Besserwisser..

  4. Auf Ihren hervorragenden Blog bin ich erst dank des Hinweises in der NZZ am Sonntag aufmerksam geworden.

  5. Allen Kommentator(inn)en auf batz.ch und per email herzlichen Dank für die Rückmeldung und die moralische Unterstützung.
    Zum Tschuten: Im Gegensatz zu den Zuschauern beim Fussball können Wissenschaftler(inn)en das Spiel durchaus beeinflussen. Das Volk ist nicht dumm, im Gegenteil.

  6. Der Graben „zwischen Forschung und Öffentlichkeit“ ist bedauerlich, aber wohl eher selbstverschuldet, wenn ich das mal so sagen darf – die Forschung biegt sich dem Politklüngel zu, nicht der Öffentlichkeit und Allgemeinheit. Insbesondere in den ökonomischen Themen gibt es hier ein zu stark implizit transportiertes „Elfenbeinturmgehabe“, und dies bei einem Thema das alle betrifft – da sind ja sogar die meisten Automobilingenieure näher „am normalen Bürger“ als die Ökonomenkaste 🙂

  7. „Aussagen nicht bloss kritisiert, sondern auch rechtlich zur Verantwortung gezogen werden? So wie kürzlich die Seismologen in Italien“.
    Diese Aussage entspricht die Wahrheit nicht! Es ist also falsch.
    Ich erkläre folgende wieso.

    Diese Sismologen sind verurteilt worden NICHT weil sie kein Erdbeben vorausgesehen hatten. Sondern, weil sie die Bevölkerung nach der ersten Erschütterungen empfohlen hatten, sich keine Sorgen zu machen und zurück nach Hause zu kehren. (Prof. De Bernardis am Tagesschau: „und noch dazu ein Glas Montepulciano zu trinken“)
    Als ob sie wissen konnten dass KEINE zusätzlichen starken Erdbeben gekommen wären.
    Noch DAZU hatten sie einen Seismologer (Giampaolo Giuliani) eingeklagt, nur deswegen, weil er die Bevölkerung empfohlen hatte, als Vorsorge nicht zu Hause zu schlafen.
    Und zur Info: diese Sismoelogen waren keine Forscher sondern die Forsitzender der „commissione grandi rischi“ ( „Kommission für grosse Risiko“).
    Dank ihre Empfehlungen die Nacht der Erdbeben in L’Aquila gab es ein nur paar Dutzende Feuerwerke für 70’000 Einwohner.

    Ein schönen Abend noch.

    Giuseppe Cosentino

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert