Imaginärer Steuerwettbewerb

Es begann in Schaffhausen, anno 1991. Das Stimmvolk beschloss, direkte Nachkommen fortan von der Erbschaftssteuer zu befreien und auch die Steuersätze auf weniger direkt verwandte Erben stark zu reduzieren. Somit war der erste Dominostein gefallen. Die meisten Kantone haben nachgezogen: St. Gallen 1997, Zürich und Aargau 1999, Bern und Genf 2004. Nur in drei Kantonen zahlen Töchter und Söhne heutzutage noch Erbschaftssteuern (Appenzell Innerrhoden, Neuenburg und Waadt).

In einem neuen Forschungspapier mit meinem Mitarbeiter Raphaël Parchet zeige ich aufgrund der jeweiligen Abstimmungsbroschüren, dass die Diskussion in all diesen Entscheiden von einem Argument dominiert wurde: dem Steuerwettbewerb. Wenn man die Erbschaftssteuern nicht auch senken würde, so wurde behauptet, dann verlöre man begüterte Steuerzahler an die Kantone, in welchen reiche Erben weniger streng zur Kasse gebeten werden. Die Logik dieses Arguments scheint bestechend, doch es wurde bislang keiner systematischen Prüfung unterzogen.

Wir haben nun mittels statistischer Schätzungen den postulierten Zusammenhang zwischen der Höhe von Erbschaftssteuern und der Wohnsitzwahl begüterter älterer Menschen ausfindig zu machen versucht. Unser Resultat ist rasch zusammengefasst: Wir finden keinen solchen Zusammenhang in den Schweizer Daten. Zudem stellen wir fest, dass die Steuereinkommen der Kantone nach Senkung ihrer Erbschaftssteuersätze langfristig schrumpfen und somit nicht durch Neuzuzüge reicher Erblasser wettgemacht werden. Es ist also nicht erstaunlich, dass die Steuersenkungsspirale mit einem starken Rückgang der entsprechenden Steuereinnahmen einherging (s. Grafik).

Die Senkungen der kantonalen Erbschaftssteuern erwuchsen kaum einem Sachzwang durch den Steuerwettbewerb. Ob die Stimmbürger einer zynischen Propaganda unterlagen, oder ob sich die Meinungsführer ganz einfach in ihrer Einschätzung der Steuerempfindlichkeit reicher älterer Menschen getäuscht haben, sei dahin gestellt. Es bleibt die Folgerung, dass der tatsächliche Druck des Steuerwettbewerbs nicht unbedingt so stark ist, wie es die intuitive Logik solcher Argumente vermuten lassen könnte.

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