DigitalerFranken: ein Sprung nach vorn?

Den Zentralbanken wird es beim Thema Digitales Zentralbankgeld (CBDC) ernst. Die SNB hat heute in einer Pressemitteilung bekanntgegeben, dass sie zusammen mit der Schweizer Börse SIX (Medienmitteilung hier) zum ersten Mal echtes digitales Zentralbankgeld verwenden wird. Beteiligt am Pilotprojekt sind auch die Banque Cantonale Vaudoise, die Basler Kantonalbank, die Commerzbank, die Hypothekarbank Lenzburg, die UBS und die Zürcher Kantonalbank. Das Pilotprojekt läuft von Dezember bis Juni.

Grundlage des Pilotprojekts Helvetia III ist das Konzeptpapier Helvetia II. Die zu testende Implementierung ist eine hybride Lösung zwischen der Dezentralisierung nach dem Vorbild von Kryptowährungen und der Zentralisierung der herkömmlichen Währungen bei einer Zentralbank. Zentralisiert sind die Überwachung des Systems bei der SIX-Tochter SDX, die Ausgabe und Rücknahme der Geldeinheiten durch die SNB, sowie die kommerziellen Transaktionen bei den einzelnen Banken. Dezentralisiert wird die Verbuchung mittels einer Decentralized Ledger Technology (DLT), so wie sie bei Kryptowährungen üblich ist.

Das Pilotprojekt ist vor allem der Erprobung der technischen Lösungen gewidmet, so wie sie im Papier Helvetia II dargestellt sind. Mit der Einführung des digitalen Geldes will die SNB keine neue geldpolitische Strategie einführen. Dennoch bestehen Berührungspunkte mit der Geldpolitik:

  • Jede institutionelle Änderung, welche die Kosten des Zahlungsverkehrs beeinflusst, hat geldpolitische Auswirkungen. Zur Erinnerung: Die Einführung des Swiss Interbank Clearing, SIC, (und eine Änderung der Liquiditätsvorschriften) im Jahre 1988 führten zu einem Anstieg der Inflation).
  • Das Projekt sieht Brutto-Echtzeit-Abwicklung vor (wie das SIC). Diese vermeidet das Risiko, dass ausgelöste Zahlungen nicht definitiv ausgeführt werden. Nachteil ist der relativ hohe Liquiditätsbedarf (da Zahlungen nie gegeneinander verrechnet werden können). Ein Zentralbank spielt deshalb, wie im SIC, eine wichtige Rolle.

Das wichtigste ist aber das kleine „w“ im Namen der neu entstehenden Geldes wCBDC. Es steht für wholesale Central Bank Digital Currency. Das heisst: Das neue Geld kann nur zu Zahlungen zwischen den Banken verwendet werden, genau so wie bisher die (selber bereits digitalen) Giroguthaben. Digitales Zentralbankgeld fürs allgemeine Publikum bleibt Zukunftsmusik. Mit vermutlich gutem Grund: Die Einführung der digitalen Banknote würde grundsätzliche Fragen aufwerfen wie jene, wozu es noch Bargeld oder Bankeinlagen braucht. Dabei ginge es dann um das Fundament unseres Finanzsystems.

Fazit: Die Einführung von wCBDC ist technologisch durchaus ein Sprung nach vorn. Aber geldpolitisch ist es eher ein Katzensprung als der eines Tigers.

Für mehr zu Kryptowährungen und digitalem Zentralbankgeld, siehe Kapitel 12 in „Das Einmaleins des Geldes“.

Financial Stability Board (FSB) blamiert Bundesrat

Urs Birchler

Der Bundesrat “löste” das CS-Problem im vergangenen März mit Gewalt – gegenüber der Credit Suisse, der UBS und de facto gegenüber der SNB. Den vorgesehenen Instrumenten des Bankengesetzes zog er Notrecht vor. Solches erfordert starke Gründe. Die vom Bundesrat vorgebrachten Argumente hat jetzt das Financial Stability Board (FSB) in einem Bericht untersucht.

Das FSB ist das von den Behörden der G20-Länder getragene internationale Expertengremium zum Thema Finanzstabilität. Es ist das Dach-Gremium zu spezialisierteren Gremien wie dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (Banken), IOSSCO (Versicherungen) u.a. Im FSB ist auch die Schweiz vertreten (aktuell mit Staatssekretärin Daniela Stoffel und Notenbankpräsident Thomas Jordan).

Das FSB als Behördenorganisation formuliert seine Berichte mit Bedacht. Auch der 35-seitige Bericht zur Behandlung der CS und anderer fallierter Banken ist sorgfältig abgefasst. Umso erstaunlicher die Aussagen: Die Kritik an der Entscheidung des Bundesrates klingt – entfernt man die übliche Watte der Diplomatie – vernichtend. 

Doch vorab zum Hintergrund: Wenn eine Bank ihre Probleme nicht mehr aus eigener Kraft lösen kann, wie die CS im März 2023, gibt es im Prinzip drei Lösungen (die bei einer Aufteilung der Bank auch kombiniert werden können) :

  • Modell “Götti”: Jemand (UBS, Bund) kauft die Bank samt ihren Problemen.
  • Modell “Resolution”: Die Bank wird saniert.
    a) mittels Rückschnitt von Ansprüchen der Aktionäre und der Gläubiger (bail in)
    b) mittels Zufuhr neuer Mittel, notfalls durch den Staat (bail out)
  • Modell “Konkurs”: Die Bank wird liquidiert.

Der Bundesrat behauptete, das Modell Resolution – verbunden mit einer allfälligen (Teil-)Verstaatlichung sei nicht in Frage gekommen. Warum nicht? 

Die zuständige Finanzministerin (frisch im Amt) liess am Wochenende der Notlösung über ihren gemäss NZZ gut informierten Parteipräsidenten im Tages-Anzeiger verlauten, der Grund sei Druck aus dem Ausland gewesen. Später argumentierte der Bund:

  1. Das Vertrauen in die CS sei unwiederbringlich zerstört gewesen. 
  2. “dass eine Sanierung einer global systemrelevanten Grossbank und ein Bail-In im aktuellen Marktumfeld zu massiven Verwerfungen geführt hätte”.
  3. “Der Konkurs der Finanzgruppe unter Aktivierung des Schweizer Notfallplanes zur Fort- führung insbesondere der systemrelevanten Funktionen in der Schweiz hätte mit [an] Sicherheit grenzender Wahrsch[e]inlichkeit in der aktuellen Lage erst recht zu einer massiven Destabilisierung der Märkte geführt.”

Ziemlich vage verwirft das Eidg. Finanzdepartements EFD auf der FAQ-Seite zur Credit Suisse die Möglichkeit einer geordneten Resolution mit Hinweis auf internationale und nationale Risiken. Eine (Teil-)Verstaatlichung wurde offenbar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen (und auch nicht den Kosten des TBTF-Status der Kombi-UBS gegenübergestellt), sobald am Horizont die Gotte UBS auftauchte.

Das Hauptargument des Bundesrates lautete zusammengefasst: Das vorhandene, in den vergangenen Jahren schrittweise ausgebaute, gesetzliche Instrumentarium des Modells „Resolution” war nicht anwendbar. 

Schon die FINMA teilte diese Auffassung in ihrem Recovery and Resolution Report per Ende 2022 (publiziert kurz nach der CS-“Rettung”) nicht: Beide Grossbanken erhielten in allen drei Kategorien (Recovery plan, Swiss emergency plan, Institution resolvability) die Note „grün“. Dennoch sah der Bundesrat rot.

Das Financial Stability Board verwirft nun die Argumentation des Bundesrates in ihrer Gänze. Eine Umsetzung der von der FINMA – in Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden bis hin zu asiatischen Aufsehern – vorbereiteten Resolutions-Pläne wäre möglich gewesen (S. 11). Die FINMA sei auch bereit gewesen, diese Pläne umzusetzen, sollte die Übernahme-Lösung scheitern. Im Wortlaut:

Some have suggested that … the resolution framework is not workable. However, the FSB’s review does not support that conclusion. As indicated above, a resolution was ready to be implemented that weekend. (S. 11)

Dass ein internationales Gremium dies in aller Deutlichkeit sagt, zeigt zweierlei: Erstens war der “internationale Druck” in Richtung der vom Bundesrat gewählten Lösung wohl eher eingebildet. Und zweitens sind die vom Bundesrat vorgebrachten Argumente zugunsten dieser Lösung, finanztechnisch gesprochen, Nonvaleurs. Langfristig, so sei angefügt, ziemlich teure.

Parkplatzblues

Urs Birchler

Unser Preisüberwacher hat zugeschlagen. Der Preis für eine Dauer-Parkbewilligung in der blauen Zone soll den Kosten entsprechen. Klingt ökonomisch, ist aber in der Umsetzung das Gegenteil. Als Kosten rechnet er die fiktive Miete der Fläche, die Kosten für Asphalt und Farbe (inkl. Abschreibung) und dergleichen. Man könnte auch den Lohn der Polizei noch dazurechnen, die gelegentlich überprüft (Fachausdruck: Kontrolle stehender Verkehr), ob alle vier Reifen innerhalb des Gevierts stehen .

Der mit Abstand wichtigste Kostenbestandteil geht dabei vergessen: Die Kosten, die ich durch Beanspruchung des Parkplatzes jenen andern auferlege, die ihn nicht gleichzeitig benützen können. Abschätzen liessen sich diese mit dem Preis, denn die/der Meistbietende in einer Auktion für die Parkkarte geboten hätte. Ähnlich der Stau: Die echten Kosten eines Staus bestehen nicht in der Miete des Bodens, auf dem mein Auto gerade zu stehen kommt, sondern in der Behinderung aller andern.

Mit der Kostenlogik des Preisüberwachers könnte ich verlangen, dass mir jemand eine Blaue Mauritius für zwei Pence (zuzüglich Zins seit 1847) verkauft. Die Meistbietenden zahlen jedoch für das blaue Viereck bis eine Million.

Halt: Eine blaue Briefmarke ist kein blauer Parkplatz! Gerade die Ärmeren brauchen ein günstiges Parkfeld, meint der Preisüberwacher. Die Reichen hätten ihre Karosse privat im geheizten Carport. Da haben wir es wieder: Jene, die wirklich knapp sind, haben kein Auto. Nur jene, die eins haben, werden subventioniert. Wie schon bei der Verbilligung des Bahnabos für Autofahrer (nicht aber für Fussgänger). Was der Preisüberwacher versucht, ist Sozialpolitik via Verbilligung einzelner Güter, eine bekanntermassen unbeholfene Methode. Sie ist aber offenbar wichtig genug, um forsch in die Gemeindeautonomie hineinzuschwatzen.

Man soll ja nicht auf den Mann zielen; er meint es gut. Aber er vertritt auch die Idee der „Gierflation“, die Idee, dass die Preise steigen, weil die Unternehmen (plötzlich!) geldgierig sind. (Im Gegensatz wohl zur den Interessenten an Parkkarten.) Das heisst: Der Mann hat eine akute Allergie gegen ökonomischen Basisverstand. Die gute Nachricht: Das wäre im Prinzip heilbar. Ich offeriere drei Probelektionen gratis.

Der ungeborene Bericht

Die Behörden verwarfen eine ordentliche Behandlung der Credit Suisse (konkret: eine Zwangssanierung) mit der Begründung, dies wäre nicht möglich gewesen. Ein Blick in die Berichte der FINMA wecken Zweifel.

Unter dem Titel „Notfallplanung bei systemrelevanten Banken“ berichtete die FINMA im Jahresbericht 2020 (S. 66): Die FINMA beurteilte die Notfallpläne der beiden Grossbanken von 2020 als umsetzbar. Die Credit Suisse erfüllt die gesetzlichen Vorgaben wie bereits im Vorjahr vollständig. Im Folgejahr heisst es unter demselben Titel im Jahresbericht 2021 (S. 58): Die FINMA beurteilte die Notfallpläne der Schweizer Einheiten von UBS und Credit Suisse im Jahr 2021 als umsetzbar. Die Credit Suisse erfüllte die gesetzlichen Vorgaben wie bereits in den Vorjahren vollständig.

Die Recovery-(Rettungs)-Pläne waren also ok. Die CS hat sogar für die gute Umsetzung einen Rabatt bekommen. Bei den Resolution-(Auflösungs-)Plänen fehlte anscheinend auch nicht viel. Im Resolution-Bericht der FINMA vom März 2021 liegt die CS bei den meisten Anforderungen im grünen Bereich, Tendenz sogar noch aufwärts (Bild unten).

Was hat denn noch gefehlt, fragt man sich, damit die CS weitestgehend aufgrund ordentlichem Rechts, d.h. den bankengesetzlichen Regeln zur (Zwangs-)Sanierung hätte gerettet werden können? Waren die beiden verbleibenden gelben Felder so entscheidend? Und hätte die dort vorhandenen Probleme nicht mit viel weniger Notrecht gelöst werden können?

Die Antwort stünde in dem aktuell fälligen neuen Resolution-Bericht der FINMA. Angesichts der neuesten Ereignisse ist dieser noch nicht erschienen. Er liegt aber mit Sicherheit vor, vielleicht sogar in der bis letzte Woche vermeintlich definitiven Fassung. Dieser Bericht wäre von grösstem Interesse. Er würde zeigen, wie die FINMA die Resolutionspläne der CS bis vor einer Woche beurteilte, was noch fehlte und warum. Dies würde uns helfen zu verstehen, warum die notrechtliche Zwangsübung vom 19. März gewählt wurde. Wenn die FINMA Zivilcourage zeigen will, veröffentlicht sie deshalb den endgültigen Bericht zusammen mit der bis dahin (also am 18. März) gültigen Entwurfsversion.

Credit Suisse: Ist die Löschung der AT1-Bonds unfair?

In diesen Tagen wird immer wieder diskutiert, ob es fair war, die sogenannten AT1-Bonds zu löschen, während die Aktien geschont werden [AT1 = zusätzliches Tranche-1-Kapital]. Deshalb hier in aller Kürze ein Versuch, die Frage zu entschärfen.

Naheliegend ist die Interpretation, Aktienkapital sei das erste Verlustpolster einer Unternehmung. Erst danach kämen die Schulden, beginnend mit nachrangigen, dann „normalen“, dann privilegierten. Die AT1-Bonds, als Schulden gesehen, kämen dann tatsächlich erst nach den Aktien „zur Kasse“.

Richtiger ist es jedoch, AT1-Bonds als Versicherung zu sehen. Wenn das versicherte Ereignis eintritt, zahlt die Versicherung. Anders als be einer normalen Versicherung ist die Versicherungssumme schon zum voraus ausbezahlt. Der Grund: Wenn die Bank falliert, will die Aufsichtsbehörde nicht den Versicherern nachrennen müssen, um das Geld einzutreiben.

Das Geld liegt also schon bei der Bank, aber die Versicherer haben eine „Quittung“ (den AT1-Bond) erhalten: Tritt während der Laufzeit das versicherte Ereignis nicht ein, bekommen sie gegen diese Quittung ihr Geld zurück.

Interpretiert man die AT1-Bonds als Versicherung, wird klar, dass es nicht unfair ist, dass die Versicherung zahlen muss, bevor die Aktien gelöscht werden. Brennt das Bankgebäude nieder, kommt auch niemand auf die Idee, die Aktionäre und Aktionärinnen müssten zuerst bezahlen und erst danach die Feuerversicherung.

Soweit relativ einfach. Nur, wie immer bei einer Versicherung, lautet die entscheidende Frage: Was ist das versicherte Ereignis? Feuer und Hagelschlag sind einigermassen objektiv feststellbar. Nicht so, die Veränderungen im Zustand einer Bank. Ein Unterschreiten der Eigenmittelquote von x Prozent? Hängt von der Bewertung von Tausenden von Positionen durch die Bank, das Revisorat und die Aufsicht ab? Ausserordentliche Liquiditätshilfe durch die Notenbank? Ist beobachtbar, aber kein exogenes Ereignis. Dito eine Sanierungsmassnahme der Aufsicht. Schlitzohrige Behörden könnten durch ihre Massnahmen die Löschung der AT1-Bonds aktiv auszulösen.

Kurz: Das Problem ist nicht die (in den Emissionsprospekten klar vorgesehene) Löschung der AT1-Bonds bei Schonung des Aktionariats. Das Problem, und einiges Juristenfutter, liegt in der Definition des „Triggers“, der die Löschung auslöst.

Mein Medientagebuch zur Credit Suisse

Die vergangenen Tage war ich vollauf beschäftigt, Medienanfragen zum Thema Credit Suisse zu beantworten. Hier die Zusammenstellung:

Das Lohngefüge im öffentlichen Dienst steht schief

Monika Bütler

Meine NZZaS Kolumne vom 19. März 2023 („Einige Staatsangestellte verdienen zu viel, andere zu wenig – und das ist ein Problem“) in etwas ausführlicherer Form

Die Stadt Zürich erhält von einem grosszügigen Gönner 500 Millionen Franken. Einzige Auflage: die Mittel müssen für jene Angestellten eingesetzt werden, die in unentbehrlichen Berufen arbeiten und am Arbeitsplatz am meisten unter Stress stehen.

Der Gemeinderat beschliesst darauf: Die wöchentliche Arbeitszeit der Angestellten mit Schichtarbeit wird während vier Jahren auf 35 Stunden reduziert – bei gleicher Entlöhnung. In den Genuss kommen Mitarbeitende in Pflege und Betreuung, in der Reinigung, bei der Stadtpolizei und den Verkehrsbetrieben. Mit der Spende werden die zusätzlich notwendigen rund 1200 Vollzeitstellen finanziert. Der Versuch wird wissenschaftlich begleitet.

Den edlen Spender gibt es natürlich nicht. Alles andere jedoch entspricht genau der Realität, genauer: dem Mitte März 2023vom Zürcher Gemeinderat vorgeschlagenen Pilotversuch, eingeschlossen dessen vom Stadtrat geschätzten Kosten und der geplanten wissenschaftlichen Begleitung.

Als Gedankenexperiment hat der vorgeschlagene Pilotversuch auch ohne Gönner einen gewissen Charme. Er legt den Finger, wohl eher unbeabsichtigt, auf einen wunden Punkt. Bei den Anstellungsbedingungen öffentlicher Angestellter stimmt nämlich etwas nicht, nicht nur bei der Stadt Zürich: Das Lohngefüge im öffentlichen Dienst steht schief und dies schadet nicht nur dem Gemeinwesen, sondern auch der Gesamtwirtschaft.

Nicht erst seit der Pandemie wissen wir, dass die Belastung an der “Front”, d.h. in Bereichen wie der Pflege, der Polizei, der Müllabfuhr und den Verkehrsbetrieben hoch ist. Viel höher als bei administrativen Berufen, bei denen es – so mindestens lassen es viele Stimmen in den Medien vermuten – möglich wäre, die bisherige Leistung in weniger Zeit zu erbringen bei erst noch viel flexibleren Arbeitszeiten.

Aussagen über zu grosszügige Gehälter beim Staat sind deshalb teils verständlich, aber vor allem zu pauschal. In einigen Bereichen hat der Staat Mühe, Fachkräfte zu finden. In anderen, zum Beispiel bei gewissen Stabstellen, erhält der Bund dermassen viele Bewerbungen, dass selbst hochqualifizierte und genau aufs Profil passende Leute nicht einmal in die zweite Runde kommen.

Die einen verdienen zu wenig, die anderen zu viel – dies wäre meine lapidare Einschätzung als Ökonomin. Bei der öffentlichen Hand bestimmt hängt der Lohn tatsächlich in den allermeisten Fällen von zwei Dingen ab: von den geforderten (nicht den schwierig messbaren vorhandenen!) Kompetenzen und von der Ausbildung. Gleichzeitig berücksichtigen die Funktionsstufen der staatlichen Organisationen vieles nicht: Die unterschiedliche körperliche und psychische intensive Belastung nur am Rande, die Knappheit der verschiedenen Berufe gar nicht und den Nutzen für die Bevölkerung noch zuallerletzt.

Diese Verzerrungen haben ihren Preis. Die Angestellten in den unentbehrlichen Front-Bereichen, von der Kehrichtabfuhr bis zur Notfallaufnahme, müssen immer mehr leisten. Jene in den – sogenannt direkt produktiven – Dienstleistungsbereichen wie Betreuung oder Reinigung müssen immerhin mitansehen, wie administrative – sogenannt indirekt produktive – Berufe unter viel besseren Anstellungsbedingungen arbeiten: Der Job-Magnet Bürokratie funktioniert, weil die Verwaltung selber Stellen schaffen kann auf Kosten der Leute an der Front, die dies nicht können.

Die schiefen öffentlichen staatlichen Lohnstrukturen wirken weit über den Staat hinaus. Marktblinde Vergütungssysteme verzerren nicht nur die Studien- und Berufswahl. Zahlt der Staat „zuviel“, entweder direkt oder über eine geringere Arbeitsbelastung, fehlen dem Privatsektor die Fachkräfte. Oder sie sind zu teuer. Die internationale Konkurrenz limitiert die Löhne in den Privatfirmen stärker als die immer noch passiven privaten Steuerzahler die Löhne beim Staat. Dazu kommt noch, dass der Anteil der Steuerzahler aus der Privatwirtschaft dauernd abnimmt gegenüber jenem aus dem stark wachsenden öffentlichen Sektor.

Bei aller Kritik am vorgeschlagenen Zürcher Pilotversuch: Es ist richtig und wichtig, über die Arbeitsbedingungen von Pflege, Polizei und ähnlich gelagerten Diensten mit Schichtbetrieb zu diskutieren und Verbesserungen anzubringen. Aber welche? Hat jemand die Beschäftigten gefragt? Der Zürcher Vorschlag mit seinem Einheitsguetsli, einem höheren Stundenlohn via eine geringere Arbeitszeit, scheint reichlich paternalistisch. Vielleicht würde die eine Fachfrau Betriebsunterhalt oder der andere Flughafenpolizist lieber die ursprüngliche Arbeitszeit beibehalten, aber mehr verdienen. Oder ein bisschen von beidem.

Das Verstecken der Lohnerhöhung hinter einer verkürzten Arbeitszeit für einen Teil der Angestellten hat möglicherweise einen tieferen Grund. Der Pilotversuch riecht nach Trojanischem Pferd. Für einmal bedienen nämlich die Initianten aus linken Kreisen nicht primär die eigene Klientel – scheinbar. Dass dies nämlich kaum so bleiben wird, zeigt die Reaktion des Zürcher Finanzvorstandes Daniel Leupi: «Wir wollen auf keinen Fall den Lohnfrieden gefährden», meint er: eine 35-Stunden-Arbeitswoche nur für Angestellte im Schichtbetrieb würde das Gebot der Gleichbehandlung aller städtischen Angestellten verletzen. Als gäbe es sonst keine Ungleichbehandlungen …

UBCS — Einsprache, Hochwürden

In der Presse überstürzen sich die Meldungen, der Bundesrat orchestriere eine Übernahme der Credit-Suisse durch die UBS. Diese Idee wäre dermassen schlecht, dass ich wenigstens vor der Zwangsheirat noch Einsprache erheben will — nach dem Motto der Hollywood-Filme, in denen der Priester sagt: „Wenn jemand etwas gegen diese Verbindung einzuwenden hat, möge er jetzt sprechen oder auf ewig schweigen.“

Eine Übernahme der CS als Ganze oder in grossen Teilen, wäre zunächst ein Riesenlupf für die UBS selbst. Das weiss sie selber natürlich auch. Aber der Reiz, Retter zu sein, kann die Sinne vorübergehend trüben. Ich erinnere mich, als ich kurz nach der UBS-Rettung beim Nachtessen in der Jugendherberge Figino (TI) gefeiert wurde, als jemand aus einen welschen Unihockey-Team hörte, ich arbeite [damals] bei der Nationalbank. „Amis, il ya un de la BNS!“ schrie jemand, und dann wurde Schnaps aufgefahren. Trotzdem wäre die Integration der CS in die UBS tatsächlich eine Schnapsidee. Die Schweizer Banken haben nicht mehr die Rentabilitätsversicherung des Bankgeheimnisses in alter Form und den Komfort eines eher lahmen Wettbewerbs. Eine Bank wie die UBS hat im scharfen internationalen Wettbewerb selber genug zu kämpfen, ohne sich mit einem chronisch kranken Notfallpatienten abzumühen.

Eine Grossbank UBCS hätte in der Schweizer Bankenszene eine Sonderstellung als XL-Too-Big-To-Fail. Eine künftige Krise wäre noch schwieriger zu lösen. Ferner stünde eine solche Bank dauernd unter der Lupe der Politik. Handelt sie umweltfreundlich, genderneutral, angestelltenfreundlich im Sinne der Work-Life-Balance und nimmt sie auch ja kein Geld von jenen, die irgendwann als die Bösen gelten werden? Und wenn es etwas zu retten gibt: Die UBCS hat doch Geld. Alles recht und gut, aber es gibt auch die Ertrags-Kosten-Balance, ohne die alles andere auch nichts wird.

Was wäre denn mit dem Wettbewerb im inländischen Kreditgeschäft und auf dem Hypothekarmarkt. Bei der Fusion UBS-Bankverein im Jahr 1997 formulierte die Wettbewerbskommission immerhin eine Liste von Bedingungen, die den Wettbewerb schützen sollten. Und wollen wir eine Super-GrossBank, die fast zwangsläufig zur Marktführerin im Hypothekargeschäft würde, deren Zinssetzung also die Znssätze der anderen Banken mit sich zöge.

Vor allem ist eine Rettung durch die UBS — wenn wir den Behörden glauben durften — gar nicht notwendig. Die TBTF-Regulierung wurde in mehreren Schritten verschärft und verbessert. Heute kann eine Bank — mindestens ihre inländischen Teile — im Prinzip ohne Konkurs saniert werden. Bei der CS und ihren systemrelevanten Konkurrentinnen gibt es erstens die gesetzlichen Eigenmittel, die offenbar noch vorhanden sind. Zweitens gibt es zwei Tranchen von Anleihen, die automatisch von Schulden zu neuen Eigenmitteln werden, die erste bei Eigenmittelknappheit, die zweite bei einer Zwangssanierung unter Regie der Finma. Drittens gibt es die Konkursprivileg und Einlegerschutz für die „kleinen“ Einleger (bis 100’000 CHF). und last but not least, hat die Finma weitreichende Kompetenzen, eine Bank zu restrukturieren und notfalls entlang der „Sollbruchstellen“ aufzuteilen. Diese Architektur soll sicherstellen, dass Banken bei laufendem Betrieb saniert werden kömnnen und dass die Verluste von den Aktionären getragen werden, also von jenen, denen in einer Marktwirtschaft Gewinne und Verluste gehören.

Diese Regeln gehen letztlich auf die Bankenkrise der frühen 1990er Jahre — vor allem den Untergang der S+L Thun — zurück. Damals zeigte sich, dass es in der Schweiz bei einem Bankenproblem nur zwei „Lösungen“ gab: Konkurs mit Scherbenhaufen oder Rettung durch eine Gotte. Dreissig Jahre, ein Dutzend Expertengruppen sowie ein paar Gesetze später sind wir angeblich wieder am selben Punkt: Die Gotte UBS muss uns vor dem Scherbenhaufen retten.

Wenn das stimmt, sind wir einem Wolkenkuckucksheim — der Sanierung einer TBTF-Bank ohne öffentliche oder private Gönnerschaft — aufgesessen. Et mea culpa: Ich habe einen grossen Teil meines beruflichen Engagements in diese angebliche Illusion investiert. Und ich habe der Finma und der SNB geglaubt, dass der Werkzeugkasten in einer Krise angewendet und funktionieren würde. Und jetzt machen sie ihn nicht einmal auf.

Der Bundesrat sei daran erinnert, dass in vielen Ländern Banken auch einmal vorübergehend verstaatlicht wurden, bevor sie dann mit der notwendigen Geduld wieder in die Marktwirtschaft ausgewildert wurden.

Schlussbemerkung: Ich habe diesen Beitrag unter Zeitdruck, den Umständen entsprechend unvollständiger Information und im Schock über die Idee der UBCS-Fusion geschrieben. Für beruhigende Kritik bin ich äusserst dankbar.

Rationierung statt Ratio?

[Meine Kolumne in der NZZaS vom 19. Februar 2023, ohne die kleinen Kürzungen, die notwendig waren, um die 4600 Zeichen Limite einzuhalten.] 

Meine Mutter strich die Butter nicht, sie legte sie – zur Verwunderung von uns Kindern – in Zentimeter dicken Scheiben aufs Brot. Auch während zahlreicher Diätversuche zum Abnehmen und zur Senkung ihres zu hohen Cholesterolspiegels. 

Der Grund: Wie viele andere Lebensmittel, war Butter von 1939 bis 1948 auch in der Schweiz rationiert. Dies alleine hätte noch nicht gereicht, Mutters nie endendes Nachholbedürfnis zu erklären. Ihre eigene, früh verwitwete Mutter war gezwungen gewesen, die Buttermarken gegen andere notwendige Güter wie Schuhe für die noch kleinen Kinder einzutauschen. Obwohl meine Mutter den Sinn von Rationierungen im Krieg durchaus einsah, fürchtete sie sich ihr ganzes Leben vor weiteren solchen Einschränkungen. Ihr späterer Butterkonsum war ihre Waffe gegen diese Angst.

Und nun: Die Rationierungsidee ist zurück als eine der Strategien zur Bewältigung des Klimawandels. Etwas versteckt wie bei der Forderung, Flugreisen nur noch für Geschäftsreisen und Familienbesuche zuzulassen. Oder sogar als Leitidee in Ulrike Herrmanns „Ende des Kapitalismus“: eine Art Kriegswirtschaft mit Kern einer Rationierung von Gütern mit CO2-Hintergrund: Privatautos und Flugreisen (keine mehr), Nahrungsmittel wie Fleisch (ein paar Gramm pro Woche), Wohnraum, eigentlich fast alle Güter. 

Ganz gleich ist die Ausgangslage nicht: Ging es während der Kriege primär um eine einigermassen gerechte Zuteilung knapper lebensnotwendiger Güter, dienen die neuen Rationierungsideen dem erzwungenen Verzicht auf „schädliche“ Güter, deren Nachfrage momentan „zu hoch“ ist. Und das macht die Rationierungs-Strategie tückisch. Eine Rationierung und Ausschaltung des Preismechanismus ist das schlechteste Mittel, den Verbrauch fossiler Energien einzuschränken. 

Wer festlegt, in welcher Form der CO2-Ausstoss noch erfolgen darf, tut dies unter totaler Ausblendung der individuellen Präferenzen und der menschlichen Fähigkeit, sinnlose Restriktionen zu umgehen und durch Innovationen bessere Lösungen zu finden. Und vergisst dabei die Interdependenzen zwischen den Gütern und die internationalen Verflechtungen. Das Handy wird man den Menschen kaum wegnehmen. Doch was ist dann mit Netflix? 

Rationierung funktioniert prima mit den am letzten Tag einer Bergtour knapp gewordenen Lebensmitteln. Wer durch eine grössere Stadt flaniert, muss den Grössenwahnsinn einer umfassenden, der Umerziehung dienenden Rationierung sofort spüren. Selbst die geradezu einfach anmutenden Rationierungen im zweiten Weltkrieg mussten begleitet werden durch eine Vielzahl von Erlassen und ständiger Nachjustierung und Kontrollen.

Genau so wichtig: WER entscheidet, WIE die noch zugelassene Energie auf die Güter verteilt wird und zu welchem Preis diese an die Bevölkerung verteilt werden. Dies fängt schon bei den bescheidenen Formen der Rationierung an: Wer entscheidet nach welchen Kriterien, was ein genehmer, d.h. flugbegründender Familienbesuch ist? Und wer stellt sicher, dass keine zusätzlichen CO2-Schleudern (Rinder, Bitcoin-Farmen) aufgestellt werden?

Selbstverständlich spricht nichts gegen eine deutlich sparsamere Verwendung der Ressourcen – im Gegenteil: Doch der effizienteste, unbürokratischste und letztlich gerechteste Weg geht noch immer über den Preis. Zum Beispiel über eine – an die Bevölkerung zurückerstattete! – Lenkungsabgabe auf Energie in Abhängigkeit des CO2-Ausstosses. (Bitte jetzt keine Hinweise, dass die Schweiz zu klein sei, die Welt alleine zu retten; das stimmt selbstverständlich, gilt aber auch für die Rationierung.)

Die Anhängerinnen einer Rationierung scheiden diesem Mechanismus allerdings nicht zu trauen, er sei nicht wirksam. Damit argumentieren sie genau wie die Alkohol- und Tabaklobby im Widerstand gegen Lenkungsabgaben auf schädliche Substanzen. Und liegen genauso falsch. Wenn Lenkungsabgaben selbst bei Suchtmitteln funktionieren, gibt es keinen Grund anzunehmen, sie wirkten bei der Energie nicht. Wird beispielsweise der Flugpreis verdreifacht, bleibt der Flug sehr viel teuer als die Bahn, selbst wenn die ganzen Einnahmen an die Bevölkerung zurückerstattet werden. 

Es ist ohnehin naiv zu glauben, Rationierung, die Mutter der Korruption, würde den Markt ausschalten. In den Kriegswirtschaften gab es Sekundärmärkte, obwohl die Regierungen versuchten, diese durch sehr aufwändige Kontrollmechanismen zu verhindern. Und blühende Schwarzmärkte sind geradezu typische Ausprägungen aller Planwirtschaften mit festgelegten Mengen und Preisen. 

Das Problem dieser „Märkte“ ist, dass sie nicht mehr Angebot und Nachfrage widerspiegeln, sondern die Machtverhältnisse der Gesellschaft in unterschiedlichen Formen: Zugang zu den (klandestinen) Produzenten oder Händlern knapper Güter, die Nähe zu Beamten und zu Informationen. Wir können uns nur ausmalen, wie sehr diese Umgehungen spielen, wenn es nicht nur nicht nur um die Zuteilung knapper Güter geht wie in den Kriegen, sondern um eine obrigkeitliche Beschränkung durchaus vorhandener Güter. Darunter leiden würden diejenigen, die weder die Zeit noch das Wissen haben, in solchen Märkten mitzutun. Leiden, nicht nur unter dem künstlichen Mangel, sondern unter administrativer Demütigung.

Wie vor 80 Jahren meine Grossmutter: Mehr zugesetzt als die fehlende Butter hat meiner Mutter nämlich zeitlebens das Gefühl der Ohnmacht, Verwandten und Bekannten ausgeliefert gewesen zu sein, die die Notlage der vaterlosen Familie ausnutzten.

50 Jahre und kein bisschen weiter?

Am 23. Januar 1973, einem trübkalten Dienstag, um 08.30 Uhr fand in der Schweiz ein Staatsstreich statt – mehr oder weniger unfreiwillig, von der Öffentlichkeit kaum beachtet, und nur als provisorisch gedacht. Putschistin contre coeur war die Schweizerische Nationalbank. Nach kurzer Rücksprache mit dem Bundesrat teilte sie den Banken mit, dass sie “heute darauf verzichtet, ihre Interventionen am Dollarmarkt aufzunehmen. Sie wird sich vom Markte fernhalten, bis eine Beruhigung eingetreten ist.” 

Die Nationalbank zog damit die Notbremse: Die Notenbankgeldmenge hatte allein am Vortag um fast vier Prozent zugenommen; dies bei einer Inflationsrate von bereits über sieben Prozent pro Jahr. Sie wollte deshalb den Kurs des amerikanischen Dollars vorläufig nicht weiter durch Dollarkäufe stützen, zumal Präsident Nixon schon 1971 den Dollar vom Gold abgekoppelt hatte.

Indem die SNB die Fessel der vom Bundesrat festgelegten Goldparität (und – indirekt – Dollarparität) sprengte, mutierte sie – salopp gesprochen – von einem passiven Währungskiosk zu einer mündigen Notenbank. Sie übernahm erstmals in ihrer Geschichte die Kontrolle über die von ihr geschaffene Geldmenge. 

Die anderen Europäischen Notenbanken folgten der Pionierin kurz darauf und lösten ihre eigenen Währungen vom Dollar. Dies bedeutete, wie im Artikel von Thomas Fuster in der gestrigen NZZ nachzulesen ist, das Ende der Währungsordnung von Bretton-Woods (an der die Schweiz offiziell nicht einmal beteiligt war).

Aus dem “vorläufig” wurde ein “dauernd”: So begann im Januar 1973 das Zeitalter der flexiblen Wechselkurse – der Verantwortung der Nationalbank für Inflation oder Deflation. Die Währungen der wichtigen Länder wurden zu FIAT-Money, zu Geld, das allein in der Hand der einzelnen Notenbank liegt.

Der Ausstieg aus der Dollar-Parität bedeutete auch das Ende der Finanzierung von Staatsdefiziten (konkret: der Kosten des Vietnamkriegs und der amerikanischen Sozialpolitik) durch die Notenbanken der Partnerländer. Den meisten Notenbanken gelang es in der Folge, ihre Politik am Ziel der Preisstabilität auszurichten und von den Finanzbedürfnissen des Staates zu lösen.

Doch knapp vierzig Jahre später stand das FIAT-Geld auf dem Prüfstand. In der Finanzkrise von 2007-08 und der darauffolgenden Eurokrise von 2011 mussten die FIAT-Währungen beweisen, dass sie die Wirtschaft vor einem Absturz in die Deflation bewahren können – anders als das “barbarische Relikt” des Goldes in den 1930er Jahren. Dies gelang eindrücklich, doch wie die Katze durch den offenen Türspalt, schlich sich eine alte Bekannte ein: Die Finanzierung von Staatsdefiziten durch die Notenbanken.

Im Juli 2012 versprach der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, alles zu tun, was es brauchen würde, um den Euro zu retten. Dazu musste er den Anstieg der Risikoprämien auf italienische und griechische Staatsanleihen auf unbezahlbare Höhen wieder rückgängig machen. Er übersetzte “FIAT money“ von “Es werde Geld” in “Es werde beliebig viel Geld”. Draghi löste damit die Ankerleine des Euro, genauso wie der amerikanische Präsident Nixon 1971 den goldenen Anker des Bretton-Woods-Systems versenkt hatte. 

Mit seinem “all in” hat Präsident Draghi seine riskante Wette fürs erste gewonnen: Der Euro überlebte vorerst ohne Austritte. Doch ob die EZB und die anderen Notenbanken aus dem Gravitationsfeld der Staatsschulden wieder auf einen konsequenten Kurs der Preisstabilität zurückfinden werden, scheint 50 Jahre nach 1973 – mit viel grösseren Staatsschulden und mit viel grösseren Geldmengen als damals – noch offen. Die damals errungene Autonomie muss erneut verdient werden.

Auch dieser Beitrag beruht auf dem “Das Einmaleins des Geldes” (hep-Verlag, Sommer 2023)