Familienknatsch bei Bitcoins

Der oft zitierte Einleitungssatz zu Leo Tolstois Anna Kerenina — „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich“ — gilt offenbar auch für die Bitcoin-Familie.

Familie? Richtig. Der ursprüngliche Bitcoin (an den Börsen BTC) hat nämlich verschiedene Abkömmlinge gezeugt. Einer davon ist Bitcoin Cash (BCH), entstanden 2017 durch eine Gabelung (fork) in der Blockchain aufgrund einer Meinungsverschiedenheit der Teilnehmer. Durch eine weitere Gabelung entstand 2018 Bitcoin SV (BSV). BCH seinerseits verzweigte sich im November 2020 in Bitcoin Cash Node (BCHN) und in Bitcoin Cash ABC (BCH ABC).

Diese Sprösslinge versuchen alle, gewisse Mängel des originalen Bitcoin-Protokolls zu beseitigen, namentlich beschränkte Transaktionsgrössen und mangelnde Skalierbarkeit. Mit ähnlicher Zielsetzung sind ausserhalb des Bitcoin-Stammbaums Tausende anderer Crypto-Currencies — zusammenfassend Alt-Coins genannt — entstanden, wie Ether, Ripple, etc.

Hier geht es nur um die Bitcoin-Familie im engeren Sinn. Hier ist nämlich in der letzten Februar-Woche eine Bombe geplatzt. Ein Australier namens Craig Wright behauptet schon seit längerem, er sei der mysteriöse Schöpfer des Bitcoin-Protokolls, das heisst die wahre Person hinter dem Pseudonym Sakoshi Nakamoto. Sein Anspruch wird in der Szene angezweifelt, hat aber auch Anhänger. Bewiesen hat er einstweilen noch nichts.

Dessen ungeachtet schaltete Craig Wright einen Gang höher: Er beansprucht wie die Financial Times berichtet, das Urheberrecht auf dem Bitcoin White Paper, sozusagen der Geburtsurkunde des Bitcoin. Verklagt werden die Entwickler hinter den Bitcoin-Töchtern BTC, BCH, BCH ABC and BSV mit einem Streitwert von £ 3,5 Mrd.

Der Hintergrund: „Craig-Toshi“ behauptet, Hacker hätten ihm zwei wallets mit seinen Bitcoins gestohlen. Wert (bei heutigem Kurs): £ 3,5 Mrd. Er sucht aber nicht die Diebe, sondern versucht, die Entwickler dazu zu bringen, dass sie die Blockchain gewissermassen zurückdrehen, um sie ab dem Punkt, wo seine Guthaben verschwunden sind, ungültig zu machen. Dies wäre eine „gute“ Variante das berüchtigten 51-Prozent-Angriffs, mit dem eine Mehrheit der Teilnehmer eine bereits „geronnene“ Blockchain wieder auflösen kann. Neuestens wäre er aber auch zufrieden, wenn ihm einfach neue Bitcoins im selben Wert zugeteilt würden. Wie die FT bemerkt: Sowohl die Diebe. als auch das Opfer hätten dann das Geld.

Ob die Copyright-Klage Erfolg haben wird, wissen wir nicht. Eher könnte sie, wie mancher Familienstreit, letztlich allen Mitgliedern schaden. Beispielsweise wurde BSV (für Bitcoin Satoshi Version, ein Versuch, zu den „Wurzeln“ von Bitcoin zurückzukehren), an dessen Entstehung Craig Wright beteiligt war, von der grössten australischen Coin-Börse dekotiert, da die Copyright-Klage als bullying empunden wurde (obwohl — ein weiteres Rätsel — BSV selbst zu den Beklagten gehört).

Die Bitcoin-Familie scheint tatsächlich eine ganz eigene Form des Unglücks gefunden zu haben. Und dass man einen Familienstreit als Aussenstehender nie bis in seine Tiefen verstehen kann, wussten wir schon vorher.

Die Skischuhe des Nobelpreisträgers

Urs Birchler

Den diesjährigen Nobelpreis für Wirtschaft erhielten heute Paul Milgrom und Robert Wilson (beide Stanford). Ein Zusammenfassung ihrer Beiträge können wir uns sparen, das machen andere besser. Beispielsweise The Guardian mit vielen zusätzlichen Links.

Erwähnenswert ist hingegen ein Beispiel für (übertriebene) Bescheidenheit des neugekrönten Robert Wilson: Er habe selber noch nie an einer Auktion teilgenommen, meint er heute früh (3h Lokalzeit) am Telefon mit einem Journalisten. Worauf Frau Wilson aus dem Hintergrund korrigierte: “Doch, Deine Skischuhe haben wir per eBay gekauft!”

Bescheidenerweise (und weil er zu nachtschlafener Stunde wohl keine Vorlesung halten wollte) verschwieg Robert Wilson, dass Auktionen auch unter anderem Namen allgegenwärtig sind, vom Ausverkauf bis zum Architekturwettbewerb. Auf die Frage, welchen ökonomischen Fachartikel ich allen Laien empfehlen würde, habe ich deshalb vor einiger Zeit den Artikel von Paul Klemperer gewählt. Why Every Economist Should Learn Some Auctions Theory. Die Begründung steht hier und macht auch verständlich, weshalb die Auktionstheorie den diesjährigen Nobelpreis verdient hat (nachdem schon 1996 William Vickrey, der Vater des in der Auktionstheorie wichtigen “Revenue Equivalence Theorem” geehrt worden ist.)

Ein ARTE-fakt zum Recht auf Wohnen

Urs Birchler

Gestern Abend verging mir bei ARTE-tv als Ökonom Hören und Sehen. Die „Dokumentation“ zum Recht auf Wohnen türmte in 90 Minuten ein Gebäude aus irreführenden und falschen Aussagen auf, das fast bis zu den Wolken reicht.

Dabei beginnt der Film witzig: „Wie merkst Du, dass Du Deine Wohnung verlierst?“ Antwort: „Wenn in der Nachbarschaft ein 2nd-Hand-Kleiderladen aufgeht.“ Weil: dann kommen die Künstler und anderen coolen Leute, das Quartier wird hip, und die Mieten steigen. Nicht für alle ist das witzig, weil sich einige die höheren Mieten nicht mehr leisten können.

Ökonomisch gesprochen, steigt die Nachfrage rascher als das Angebot, auch in der Schweiz: Die Leute verdienen mehr, geben mehr für’s Wohnen aus und beanspruchen mehr Wohnfläche oder zentralere und hippere Lagen — oder beides.

Der ARTE-Film will uns eine ganz andere Geschichte unterjassen: Das Problem sind „die Spekulanten“, „die Finanzmärkte“, „die Geier“, „Ausbeutung“, „die Eliten“. Schon die Terminologie macht deutlich, dass die Zuhörerschaft nicht zum Denken, sondern zum Fühlen angeregt werden soll.

Dort, aber, wo tatsächlich inhaltlich argumentiert wird, kommt’s strub:

Schon die Hauptthese ist verkehrt: Spekulanten kaufen Häuser, drücken die Preise nach oben, wodurch sich die Mieten verteuern. Diese Geschichte kann man auch beim Mieterverband lesen. Sie stimmt trotzdem nicht. Der Apfelbaum ist wertvoll, weil daran Äpfel wachsen. Und ein Haus ist wertvoll, weil man es vermieten oder darin wohnen kann. Nicht umgekehrt. Den Mieter kümmert es nicht, wieviel die Vermieterin für das Haus gezahlt hat. Noch nie habe ich in einem Wohnungsinserat einen Hinweis gelesen, das Haus sei teuer oder billig gewesen, als Argument für eine hohe Miete („Aufwendig renoviert“ zählt wegen des damit verbundenen Komforts, nicht wegen der Kosten.). Hingegen steht bei Immobilienangeboten oft: „Voll vermietet“ als Argument für einen hohen Kaufpreis. Kurz: „Spekulation treibt Mieten“ ist eine Schwanz-wedelt-mit-Hund-Geschichte.

Der vorliegende Fernsehbeitrag setzt aber noch einen drauf und behauptet, die Spekulanten liessen Häuser aus blanker Gier leerstehen. Wie das zusammengeht, erfahren wir nicht. Vielleicht macht die Regulierung einen vorübergehenden Leerstand lohnend, aber von Regulierung des Wohnungsmarktes ist im Beitrag nicht die Rede. Schade — gerade hier hätte man eine Geschichte von Eigennutz versus Gemeinsinn erzählen können: Generell mögen Bauherren Bauvorschriften nicht besonders; wie der The Economist, berichtet, befürworten jedoch diejenigen, die bereits ein Haus haben, oft Einschränkungen der weiteren Bautätigkeit in ihrem Quartier.

Der Fernsehbericht belegt die Ruchlosigkeit der Immobilienspekulanten jedoch mit dem (durch Mängel in Bau und Unterhalt mitverursachten) Brand des Londoner Grenfell Tower von 2017. Mit keinem Wort wird dabei erwähnt, dass das Hochhaus dem Kensington and Chelsea London Borough Council gehört, d.h. gerade nicht einem gierigen Privatspekulanten, sondern der dem Allgemeinwohl verpflichteten öffentlichen Hand!

Dann eher schräg: Die (in ihrem Fach durchaus renommierte) Soziologie-Professorin Saskia Sassen unterscheidet zunächst zwischen den „bösen“ Finanzmärkten und den (man höre und staune) „guten“ Banken. Sie beklagt, dass Finanzmärkte aus Gewinnsucht Dinge verkauften, die sie gar nicht haben. Die (seit der Finanzkrise permanent gescholtenen) Banken hingegen kümmerten sich echt um das Wohl ihrer Kunden, weil sie dereinst auch deren Kinder und Enkel bedienen möchten. Ferner hat die Soziologin den in ihren Augen haarsträubenden Umstand entdeckt, dass der Wert der Immobilien weltweit grösser sei als das globale BIP, d.h. das gesamtwirtschaftliche Jahreseinkommen. Es scheint der Soziologin bisher entgangen zu sein, dass die meisten Häuser (wohl auch ihr eigenes) selbstverständlich teurer sind als ein Jahreseinkommen ihrer Bewohner.

Überhaupt ist der Beitrag in erster Linie eine Selbstdarstellung der UNO-Sonderbeauftragten Leilani Farha, die zuhanden des UNO-Menschenrechtsrates die Einhaltung des Rechts auf Wohnung in verschiedenen Ländern und Städten beobachtet (im Film: Uppsala, London, Berlin, Valparaiso, New York). Kürzlich intervenierte Frau Farha, wie SRF berichtete, auch beim Bund. Sie will festgestellt haben, dass ein von der CS-Pensionskasse geplanter Neubau einer Wohnsiedlung in Zürich Wiedikon gegen die Menschenrechte verstösst, weil die Mieter in den abbruchbedrohten Liegenschaften zunächst ausziehen müssten. Der Bundesrat muss nun dazu Stellung nehmen.

Ich musste selber nachschauen: Was beinhaltet das Menschenrecht auf Wohnen? Grob gesagt: Es soll jede(r) ein Dach über dem Kopf haben, und zwar ein zumutbares (also beispielsweise mit Wasseranschluss). Ausdrücklich kein Menschenrecht ist jedoch der Verbleib in einer Wohnung im Falle von Renovation oder Neubau. Das offizielle UNO-Dokument sagt dazu klipp und klar: „The right to adequate housing does NOT prohibit development projects which could displace people“ (The Right to Adequate Housing, S. 7). Die Dame könnte auf einer ihren vielen von der UNO (d.h. den Steuerzahlern) finanzierten Reisen vielleicht einmal die eigenen Dokumente lesen, anstatt den Bundesrat mit der Strafaufgabe eines Berichts zur Wohn-Menschenrechtslage in Zürich Wiedikon zu beglücken. Aber, wie sie im Bericht selbst sagt (siehe Bild), es geht nicht um Fakten, „es ist eine Schlacht der Worte“.

Traurig hinterlässt mich nach neunzig Minuten, dass es ausgerechnet den sonst so sympathischen Sender ARTE-tv erwischt hat.

20 Jahre Euro — live auf Youtube

Urs Birchler

Bei der Banque de France findet heute und morgen eine SUERF-Konferenz zum zwanzigsten Jarestag der Einführung des Euro statt. Die Konferenz wird live auf Youtube übertragen. Auf der Rednerliste die erste Garde:

Heute, Do 28. März, ab 13:40 (Youtube):

  • Christine Lagarde, Managing Director, International Monetary Fund (IMF)
  • François Villeroy de Galhau, Governor, Banque de France
  • Laurence Boone, Chief economist, Organisation of Economic Cooperation & Development (OECD)
  • Agustin Carstens, General Manager, Bank for International Settlements (BIS)
  • Richard Clarida, Vice Chairman, Board of Governors of the Federal Reserve System
  • Pascal Lamy, former President, World Trade Organisation

Morgen, Fr 29. März, ab 9:00 (Youtube):

  • Hélène Rey, Professor, London Business School
  • Lorenzo Bini Smaghi, Chairman, Société Générale
  • Benoît Coeuré, Member of the Board, European Central Bank
  • Gita Gopinath, Chief Economist, IMF
  • Lucrezia Reichlin, Professor, London School of Economics
  • Jean Tirole, Nobel Prize in economics, Professor, Toulouse School of Economics

Daneben gibt es Poster Sessions mit Arbeiten jüngerer Ökonomen/innen, unter denen auch der Marjolin-Preis vergeben wird.

Vernissage im Money Museum

Urs Birchler

Das Money Museum hat gestern mit einer Vernissage neu eröffnet, unter anderem mit einer Ausstellung zum Thema „Der gerechte Preis“, das seit dem Mittelalter nichts an Aktualität eingebüsst hat. Dann verfügt das Museum über eine sensationelle Sammlung von aktuell 2095 Münzen, aus der im übrigen unsere täglich wechselnden Batzen (oben rechts) stammen. So ganz beiläufig erhielt ich gestern plötzlich eine sumerische Tontafel in Keilschrift in die Hand gelegt.

Der Vater des Museums, Jürg Conzett, verblüfft immer wieder mit seiner Offenheit für Unkonventionelles und Neues. So zeigt er im Museum auch seine Bitcoin-Mining-Maschine (Bild). Auf einem Zähler können die Besucher laufend verfolgen, wieviele Bitcoins der Apparat dem System schon abgemolken hat.

Auch wer endlich alles zum römischen Geldwesen genau wissen will, wird fündig (Bild).

Achtung: Das Museum ist nur Freitags offen. Und es lohnt sich, eine Führung zu vereinbaren.

Meine Studenten holen Medaillen!

Urs Birchler

Zu so schrägen Zeiten und so nervös sass ich seit langem nicht mehr vor dem Fernseher. Zwei Studenten, die beide bei mir je eine Arbeit geschrieben haben, sind auch an der Olympiade in Pyeongchang vertreten. Und — beide haben Medaillen geholt! Gestern Ramon Zenhäusern Silber im Slalom, heute Benoît Schwarz Bronze im Curling. Herzliche Gratulation an beide!!!

Gelernt habe ich in der Zusammenarbeit mit den beiden auch dies: Spitzensportler brauchen ein bisschen Flexibilität in Präsenz- und Terminfragen. Sie brauchen aber keine „Extrawurst“ bezüglich der universitären Qualitätskriterien. Die eiserne Disziplin, die der Erfolg im Sport voraussetzt, hilft auch im Studium. Beide haben mich diesbezüglich tief beeindruckt!

Ramon Zenhäusern („Individualsponsoring — Wofür zahlen Sponsoren?“) wird seine Forschungs-Ergebnisse jetzt im silbernen Rahmen überprüfen können. Das Thema von Benoît Schwarz („Die Vollgeldinititative“) kommt im Juni an die Urne. Ob er sich noch für Vollgeld interessiert, bezweifle ich allerdings; hat er doch jetzt die härteste Währung der Welt: Olympisches Metall.

Ich danke beiden für die Zeit, in der meine Nerven flatterten wie Slalomstangen und sich in meinem mein Kopf alles drehte wie Curling-Steine. und wünsche weiterhin alles Gute!!!

Sprachvergifterin NZZ

Urs Birchler

Was ist nur bei der NZZ los? Konkret: Im Feuilleton. Jetzt hat es anscheinend auch die Sprache (genauer: das Denken) erwischt. Man versuche, den Beitrag von Feuilleton-Chef René Scheu in der Ausgabe von gestern zu lesen. Ich sage: „versuche“, denn der Beitrag ist weithin kaum verständlich und dort, wo er verständlich ist, als NZZ-Artikel beängstigend.

Schon der Titel verrät die Haltung: „Die Barbaren, sie lauern überall“. Die Andersdenkenden sind Barbaren. Ein Trick, so alt, er gehörte ins Uno-Unkulturerbe. (Fussnote: Den Titel setzt meist nicht der Autor, sondern der Redaktor. Dies macht die Sache aber nur noch schlimmer; die Barbarisierung der Gegenseite hat sich offenbar schon in die Kultur der NZZ eingefressen.)

Im Untertitel verpflichtet sich Herr Scheu zwar der Aufklärung: „Wie Progressive das Erbe der Aufklärung verspielen.“ Aufklärerisch, im Sinne von erhellend, ist der Text dann eben gerade nicht. Eher verdunkelnd. Der Autor versteht partout nicht, dass sich eine Feministin für ein Recht auf Vollverschleierung „starkmachen“ (warum nicht einfach: „sich einsetzen“?) kann. Ist Toleranz nicht eine akzeptable — oder gar die einzig konsequente — Form von Liberalismus? Darauf folgt eine Irrfahrt durch verworrene Bruchstücke soziologischer Literatur mit (unklarer) Unterscheidung zwischen „rassistischem Antirassismus“ und „antirassistischem Rassismus“. Darauf aufgepfropft dann des Autors wahre Botschaft: Die Verunglimpfung der „Progressiven“, der „selbsternannten Träger von Toleranz und Offenheit“. Diese müssen sich „von ihrem Überlegenheitsgefühl verabschieden“. (Sagt ein Autor, der für die Aussage „Sartres Denkfehler liegt auf der Hand“ nicht zu scheu ist.) Die „Progressiven“, so lesen wir, sind eben nicht fähig, die „eigene Identität zu transzendieren“ (Hiiiilfe!).

Im Gegenzug transzendieren wir hier die eigene Identität von batz.ch als Wirtschaftsblog. Da Wirtschaft etwas mit Freiheit zu tun hat. Und Freiheit etwas mit Sprache. Und weil (aufklärerische) Sprache da ist, um zu klären, nicht um zu verunglimpfen und aufzuhetzen.

Aufhetzen? Sicher. Der Titel heisst nicht einfach „Überall Barbaren!“. Ein solcher Seufzer wäre mir an einem Mittelmeerstrand wohl auch schon entfahren. Er lautet: „Die Barbaren, sie lauern überall“. Mit der (französischen) Repetition des Subjekts wird dieses im Deutschen betont, der Titel zum Warnschrei. Sie sind nicht nur überall, sie lauern auch noch! Die Barbaren. Das heisst, die (in guter Absicht) anders Denkenden.

Altern ist (nicht) lustig

Monika Bütler

Der Beitrag erscheint unter dem selben Titel im HSG Focus 01/2017.

Das Knie knirscht, der Rücken schmerzt, die Falten werden tiefer. Mein Jüngster meinte vor einiger Zeit, dass ich von hinten eigentlich jung aussähe – von vorne hingegen…. Altern ist nicht lustig. Dennoch: Fast alle möchten alt werden, ein immer grösserer Teil der Bevölkerung schafft es auch. Noch vor 20 Jahren kannte man zwar bereits die wachsenden Finanzierungslücken der Alterssicherung, man wusste allerdings herzlich wenig darüber, wie es den älteren Menschen geht. Materiell, gesundheitlich, sozial, und vor allem darüber, wie all dies zusammenhängt. Ob healthy, wealthy and wise oder krank, arm und vergesslich, die optimale Alterspolitik hängt eben nicht nur von den Finanzen ab, sondern auch von den Bedürfnissen der Empfänger.

Ebenfalls erstaunlich: die riesigen Unterschiede zwischen Weiterlesen

Znacht mit Nobelpreisträger

Urs Birchler

Mit den heute gekrönten Wirtschaftsnobelisten habe ich je schon einmal ein Nachtessen bestritten und war nachher beide Mal nudelfertig. Mit Bengt Holmström (in grösserer Ökonomen-Tischrunde des Studienzentrims Gerzensee) bewegte sich das Gespräch auf einer Reiseflughöhe und in einer Geschwindigkeit, dass mir schwindlig wurde.
Noch schlimmer war es mit Oliver Hart (zu zweit ). Er ist ein derart interessierter Geist, dass er mich vom ersten Satz an ausfragte über die Schweiz, von Initiative und Referendum bis zur (Nicht-)Handelbarkeit von Milchkontingenten und Alprechten. Erst in diesem Gespräch wurde mir bewusst, wie oberflächlich ich mich in vielem auskannte und was intellektuelle Neugier bedeutet.

Oliver Hart hatte ich damals (1999) eingeladen als Referent in einem gemeinsamen Seminar von SNB und FINMA (damals EBK) zum Thema Bankenkonkursrecht. Hart hatte mit Lucien Bebchuk ein Konkursverfahren erfunden, welches den Wert der zu liquidierenden Unternehmung maximiert und die Anspruchsberechtigten fair behandelt. Wir waren damals überzeugt, dass die Schweiz mit ihren Grossbanken so etwas brauchte. Eine vereinfachte Version floss dann schrittweise tatsächlich ins Bankengesetz ein und wird heute als „bail-in“ (Gläubigerbeteiligung an den Verlusten) international hoch gehandelt.

Als ich Oliver Hart Jahre später wieder traf, berichtete ich ihm stolz, wir hätten seinen Vorschlag immerhin teilweise umgesetzt. Doch liess ihn dies völlig kalt; er hatte seine Neugier längst auf neue Fragen gerichtet.

Immerhin haben wir Oliver Hart in den Artikeln 31ff. des Bankengesetzes ein „lebendes“ Denkmal gesetzt. Lange vor dem Nobelpreiskomittee.