Corona und die Kosten des Lockdowns

Reto Föllmi 
(Artikel aus Finanz und Wirtschaft)

Vielleicht ist es verfrüht, den Corona-Virus als Jahrhundertereignis zu bezeichnen. Das Jahrhundert ist noch jung und wir wissen nicht, was dieses Jahrhundert für uns alle noch bereithält. Mit Sicherheit ist es aber eine medizinische und wirtschaftliche Ausnahmesituation, die in jüngerer Zeit so nie vorgekommen ist. Die Wirtschaftspolitik muss bei einem so gewaltigen und plötzlichen Einbruch Vertrauen und Sicherheit schaffen. Arbeitnehmer und Selbständige brauchen dringend ihre Löhne und die Firmen benötigen weitere Liquidität, um weitere Rechnungen zu bezahlen.

Mit der grosszügig ausgestatteten Kurzarbeitsregelung werden die Löhne der betroffenen Branchen gesichert. Der Ausgleich ist aber nicht ganz 100%, so dass flexible Lösungen der Firmen in Arbeitszeit- oder Geschäftsmodellen wie Take-Aways belohnt werden. Dies schafft Sicherheit und ist auch aus Verteilungssicht sinnvoll, denn Arbeitnehmer aber auch Selbständige können sich gegen dieses Risiko nicht versichern.

Üblicherweise ist es Selbständigen verwehrt, auf die Kurzarbeit der ALV zuzugreifen, weil die Annahme von Aufträgen von ihnen selber abhängt. Der Einbruch aufgrund der Corona-Welle ist aber offensichtlich und in seiner Art einzigartig, was diese Hilfe für die Selbständigen eine gute und pragmatische Lösung macht. Allerdings sind auch selbständige Grafiker, Beraterinnen und Schreiner betroffen, deren Geschäftsaktivität nicht direkt behördlich geschlossen wurde. Es ist darum sinnvoll, dass der Bundesrat heute eine Ausweitung der Kurzarbeit auf diese Gruppen anbietet. Auch hier könnte die Differenz der Umsätze vor und während der Krise als Basis für die Entschädigung genommen werden.

Wie sieht es aber mit den übrigen Kosten und den Gewinnen, also der Entschädigung für das eingesetzte Kapital aus? Logischerweise muss hier die Liquidität für die Zahlung des Materials, der Mieten etc. sichergestellt sein, wie das mit den durch staatliche Bürgschaften gesicherten Covid19-Krediten der Banken geschehen ist. Die Kredite sind nach maximal 7 Jahren zurückzuführen, was für einen Geschäftskredit eine grosszügige Zeit ist und nicht zu exzessiver Schuldenlast führen muss. Die grosse Inanspruchnahme zeigt auch, dass dieses Programm auf eine grosse Nachfrage stösst.

In einer weiteren Auslegung des Versicherungsprinzips forderte mehrere Stimmen, dass der Gewinnentgang direkt über den Staat (teilweise) abgegolten werden sollte. Diese Forderungen lassen aber einen wichtigen Punkt ausser Betracht: das Kapital kann im Gegensatz zur Arbeit das Risiko weit besser tragen und bekommt für eben dieses Geschäftsrisiko ja in guten Zeiten eine Risikoprämie. Auch bei der Finanzkrise waren einzelne Branchen mehr betroffen und mussten die Verluste entsprechend selber berappen. Eine grossflächige Entschädigung oder nur teilweise Rückzahlung der Darlehen, um entgangene Gewinne zu kompensieren, wäre sehr teuer und würde auch hohe Mitnahmeeffekte von Unternehmern generieren, die auch noch davon profitieren wollen. In einer längeren Krise und wie von Lausanner Ökonomen angeregt wäre ein neues Programm denkbar, das nach dem Vorbild der australischen Studiendarlehen funktioniert, diese sehen im Erfolgsfalle eine raschere Rückzahlung vor. Prüfenswert ist auch eine Form der Brady-Bonds mit Abschlag nicht mehr für Staaten sondern für Firmen.

Auch wenn die Corona-Krise ist vielerlei Hinsicht einzigartig ist, stellt so eine Kompensation einen Präzedenzfall dar, der nur schwer aus der Welt zu schaffen wäre. Ähnliche Forderungen wären bei der nächsten Krise vorprogrammiert. Auch in der Finanzkrise waren einzelne Branchen stärker betroffen als andere. Wenn das Eigenkapital nun wiederholt einen von der Allgemeinheit zu berappenden Versicherungsschutz geniessen würde, womit liesse sich dann in Zukunft eine Risikoprämie für das Eigenkapital noch rechtfertigen? Dem schon in der Finanzkrise geäusserten Vorwurf, die Gewinne würden privat vereinnahmt die Verluste dann aber sozialisiert, käme erst recht eine gewisse Berechtigung zu.

Die Coronakrise ist eine Kombination von Nachfrage- und Angebotsschock. Die Nachfrage ist vielerorts eingebrochen und wir geben nichts mehr für Restaurants oder Anlässe aus. Aber das Angebot ist eben auch eingeschränkt. Weil viele wegen online Meeting, Kinderbetreuung etc. nicht gleich produktiv sind und Angestellte in Branchen wie Tourismus, Events gar nicht arbeiten können, liegt das ganze Produktionspotential tiefer. In «gewöhnlichen» Rezession wirksame Ankurbelungen der Wirtschaft sind darum im Moment wirkungslos. Eine Stimulierung der Wirtschaft während des partiellen Lockdowns ist gar nicht möglich und zudem aus Ansteckungsgründen gar nicht erwünscht.

Wegen des Produktionsabfalls können wir gar nicht den ganzen Kaufkraftverlust ersetzen. Würde im Extremfall der Staat 100% aller Ausfälle übernehmen und die Kaufkraft nominell voll erhalten, könnte nach Ende des Lockdowns eine gleiche oder wegen Nachholbedürfnissen noch gesteigerte Nachfrage auf ein verringertes Angebot treffen, das auch durch Überstunden nicht beliebig ausgeweitet werden kann. Das Resultat wäre zum ersten Mal seit Jahren Inflation nicht nur auf den Aktien- und Immobilienmärkten sondern auch für Güter und Dienstleistungen. Detailhändler verzichten bereits jetzt auf Aktionen und im Medizinalbereich sind Preissteigerungen schon eingetreten. Was die Zentralbanken in den vergangenen Jahren vergeblich zu erreichen suchten, wäre über einen nie vorausdenkbaren Weg eingetreten.

 

Reich sein in der Schweiz….

  … ist auch nicht mehr das, was es einmal war.

Reto Föllmi und Isabel Martínez

Minders Abzocker-Initiative, die 1:12 Initiative der Juso sowie die anhaltenden Diskussionen um die Besteuerung gut betuchter Ausländer und kantonale Abstimmungen zur Pauschalbesteuerung zeigen deutlich: Die Frage, wie viel Reichtum den Reichen vergönnt sei, hat Hochkonjunktur im politischen Geschehen unseres Landes.

Wie hat sich der Anteil der reichsten Einkommen aber eigentlich entwickelt? In einer aktuellen Auswertung von Steuer- und AHV-Daten untersuchen wir deren Entwicklung insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten und schliessen dazu die bisherige 8 jährige Lücke in den nationalen Steuerdaten, die gerade in die Zeit der „interessanten“ Jahren mit dem Einsetzen der verstärkten Zuwanderung fiel. Die Lücke entstand u.a. durch die kantonal versetzte Umstellung von Vergangenheits- auf Gegenwartsbemessung.

Im Vergleich zu den USA, wo die Reichen seit den 1980er Jahren immer reicher werden und das oberste Prozent der Steuerzahler 2008 18% der Einkommen erwirtschaftete – siehe dazu auch den batz-Beitrag von Marius Brülhart – sehen die Verhältnisse in der  Schweiz bescheidener aus, auch wenn gerade die Schweiz von starken Veränderungen wie der verstärkte Zuwanderung gekennzeichnet war. 11% aller Einkommen entfielen hier auf die reichsten 1% (siehe Grafik 1 unten). Allerdings zeigt der Trend für alle untersuchten Gruppen der Top 10% bis Top 0.01% im betrachteten Zeitraum von 1981 bis 2008 stetig nach oben.

Grafik1

Der Anstieg der Topeinkommen wird aber mit erhöhter Volatilität über die Konjunktur erkauft: Besonders die Top 0.1% und 0.01% (das sind in etwa die einkommensstärksten 450 Steuersubjekte) erlitten in der Rezession 2001 einen Rückgang, den sie nicht so schnell wieder aufholen konnten. Darin spiegelt sich sicher die zunehmende Verbreitung variabler Lohnbestandteile wider, bei welchen die Topverdiener mit Aktienoptionen häufig auch einen Teil des Unternehmensrisikos tragen. Dennoch fielen die Einkommensanteile nicht auf das Niveau der vorhergehenden Rezession zurück.

 Wenn wir diese Zahlen mit der Verteilung der AHV-Löhne vergleichen, scheint der Anstieg der obersten Einkommen vor allem auf einem überproportionalen Anstieg der Arbeitseinkommen zu basieren. Wie Grafik 2 zeigt, sind besonders die Einkommen der bestverdienenden Angestellten nach oben geschnellt, während der Anstieg für die erfolgreichsten Selbständigen viel geringer ausfiel.

Grafik2

Plakativ gesprochen tragen heute nicht mehr Risikokapital und Unternehmertum sondern Top-Angestelltenverhältnisse neu die meisten Früchte. Die verstärkte Globalisierung und damit die stärkere Wertschöpfung in Grossfirmen spielen sicher eine wichtige Rolle. Wenn – aber nur wenn – die hohen Saläre auf Leistung beruhen, muss diese Entwicklung nicht zwingend eine Schwächung der Innovationskraft einer Volkswirtschaft bedeuten. Die weitere globale Entwicklung bleibt sicher spannend.

 

Soll man weniger sparen, um mehr zu wachsen?

Reto Föllmi

Wer die laufenden politischen Diskussionen in Europa verfolgt, könnte zur Ansicht gelangen, wir müssten uns zwischen Sparen oder Wachstum entscheiden. Nach dem Wahlsieg von Hollande in Frankreich werden die Stimmen in Europa immer stärker, die eine Abkehr vom Sparkurs und stattdessen mehr Wachstum fordern. Deren Befürworter werfen den anderen vor, die Wirtschaft kaputtzusparen oder gar abzuwürgen, um nur ein paar Schlagworte zu nennen.

Als Ökonom reibe ich mir die Augen und frage mich, wie es denn zu diesem Gegensatz kommen kann. Schliesslich kann der Einzelne ja in seinem Haushalt oder Betrieb nicht mehr ausgeben als einnehmen. Warum um alles in der Welt sollen, Staatsausgaben mit der Giesskanne oder gar direkte Verschwendung wachstumsfördernd sein?

Der erste Teil der Antwort liegt in einem etwas eigenartigen Gebrauch der Begriffe. Das erwähnte Sparen bedeutet derzeit im europäischen Kontext nur die Reduktion eines bereits bestehenden Defizits und nicht wie im Privathaushalt ein Anlegen von Überschüssen zur Vorsorge. Kommt hinzu, dass die Defizitreduktion nicht über Ausgabenkürzungen zu erreichen versucht wird, sondern mittels Steuererhöhungen.

Was hier als Sparen verkauft wird, mag zwar ärgerlich sein, die Täuschung im Wachstumsbegriff ist aber weit gravierender. Wachstum meint eigentlich die langfristige Hebung des Wohlstandes. Die ausgabefreudigen Staaten stattdessen bezeichnen eine kurzfristige Ankurbelung der Wirtschaft als Wachstum.

Der Kern der ganzen Streitfrage, und darin liegt der wichtigere zweite Teil der Antwort, ist eine grundlegende Verwechslung von kurzer und langer Frist. Kurzfristig, wenn plötzlich die Nachfrage einbricht und den Firmen die Aufträge wegbleiben, kann es durchaus Sinn machen, als Bundesstaat antizyklisch zu handeln, sinnvolle Projekte vorzuziehen oder Arbeitslose durch die ALV automatisch zu unterstützen und dadurch die Nachfrage zu erhalten.

Mittel- und langfristig kann aber eine solche Politik nicht funktionieren. Wie ein Haushalt kann auch eine Volkswirtschaft langfristig nur soviel ausgeben wie sie einnimmt, also durch Produktion erwirtschaftet. Ein konstant höheres Ausgabenniveau ist nur mit höherer Produktivität möglich. Es ist ein Irrglaube, man könne – einem Perpetuum Mobile gleich – mit Geldausgeben laufend die Wirtschaft ankurbeln.

Wie ist dann eine Erhöhung des Wohlstandes möglich? Nur durch bessere Technologien oder Investitionen z.B. in Ausbildung oder bessere Infrastruktur, ausserdem auch durch Abbau von Marktschranken für innovative neue Firmen. All diese Elemente erhöhen die Produktivität, die der Schlüssel zu nachhaltig höheren Einkommen und Wohlstand ist. Die Steigerung von Konsumausgaben führt zwar zu einem kurzfristigen Strohfeuer, erhöht aber nicht die Produktivität! Gerade im Gegenteil können die Investitionen nur aus der Ersparnis finanziert werden. Das Einzige, was durch andauernde staatliche Konjunkturprogramme dann wächst, ist der Schuldenberg.

Ein solcher Schuldenberg ist aber für das Wachstum selber ein Hemmschuh, da dieser mittelfristig wiederum irgendwie abgebaut werden muss. Wenn die Bürger die Schuldenkonsequenzen neuer Ausgabenprogramme durchschauen, werden sie mit weniger Staatsausgaben in Zukunft oder wahrscheinlicher mit höheren Steuern rechnen müssen. Das macht Investitionen noch schwieriger und lässt die Nachfrage erst recht einbrechen. Noch schlimmer kommt es, wenn aufgrund des gestiegenen Schuldenberges die Steuererhöhungen so gross sein müssten, dass die Gläubiger zu zweifeln beginnen, ob diese überhaupt durchgesetzt werden können. Die darauf steigenden Risikoprämien und Zinsen erschweren die Bedienung der Schulden aber erst recht und engen den Spielraum der öffentlichen Hand noch mehr ein. Im schlimmsten Fall wie in den Südstaaten Europas mündet das Ganze in einen Teufelskreis, an dessen Ende Hilfe von aussen oder Bankrott stehen.

Genauer betrachtet besteht damit gar kein Gegensatz zwischen haushälterischem Umgang mit öffentlichen Mitteln und Wachstum. Was für Haushalte und Kleinfirmen gilt, muss auch für eine ganze Volkswirtschaft gelten: Kurzfristig kann man Engpässe durch Kredite überbrücken, wer aber langfristig über seine Verhältnisse gelebt hat, muss zunächst in einem schmerzvollen Entzugsprogramm Defizit abbauen, bevor überhaupt wachstumsfördernde Investitionen möglich werden.

Warum wird darüber die Diskussion dennoch so intensiv geführt? Den Bürgern wurde lange Sand in die Augen gestreut, mit ständigen Anstossfinanzierungen könne auch langfristig der Lebensstandard gehoben werden. Wenn diese Subventionen länger anhalten und immer mehr Bereiche umfassen, ist für den Einzelnen der Zusammenhang zwischen erwirtschaften Einkommen durch Arbeit und Ausgaben immer weniger ersichtlich.

In der Krise wurde dieses Problem noch verstärkt. In Schieflage geratene Banken mussten mit Unsummen gerettet werden. Offensichtlich hat hier die Politik auf Kosten derjenigen gespart, die am wenigsten für sich reklamieren konnten, systemrelevant oder eben too big to fail zu sein. Hier, also bei den Konsumenten und kleineren Unternehmen, musste der Eindruck entstehen, der Zusammenhang zwischen Einkommen und Leistung sei bei den anderen ausser Kraft gesetzt. Wir gewännen viel, wenn wir die Krise dazu nutzten, unser Haus in Ordnung zu halten und diese Verschleierungen etwas zu beseitigen. Dann können Sparen und Wachstum wieder gleichermassen zu nachhaltigem Fortschritt beitragen.

Prof. Dr. Reto Föllmi, Universität St. Gallen. Artikel publiziert im „Bote der Urschweiz“ am 4. Juni 2012.