Wer hat, der erbt?

Marius Brülhart

In der Schweiz wird doppelt so viel Geld über Erbschaften und Schenkungen umverteilt wie durch die AHV: Geschätzten 95 Erbschafts-Milliarden stehen 46 Milliarden an ausbezahlten AHV-Renten gegenüber.

Während die AHV explizit darauf abzielt, Einkommensunterschiede zu reduzieren, werden Erbschaften gemeinhin als Treiber zunehmender wirtschaftlicher Ungleichheiten betrachtet. So sahen die Autoren der eidgenössischen Erbschaftssteuervorlage von 2015 ihre Idee als „Gegensteuer“ zu einer immer ungleicheren Verteilung der Vermögen.

Könnte es sein, dass die Initianten nicht nur mit ihrer Einschätzung der Mehrheitsverhältnisse – die Initiative konnte nur 29% des Stimmvolks überzeugen – sondern gar mit ihrer zentralen Prämisse falsch lagen? Befeuern Erbschaften die Vermögensungleichheit überhaupt?

Im Lichte neuer statistischer Befunde scheint die Antwort gar nicht so klar, wie man meinen könnte.

Die Berner Soziologen Ben Jann und Robert Fluder haben Steuerdaten aus dem Kanton Bern ausgewertet. Ihre Studie zeigt auf, dass 18 Prozent der Erbschaften an Erben fliessen, die eh schon zum Top-1-Vermögensprozent gehören. Die Autoren schliessen aufs Matthäus-Prinzip: „Wer hat, dem wird gegeben“.

Dieser Befund ist zweifelsohne korrekt. Aber er greift zu kurz, um Rückschlüsse auf die Verteilungswirkung von Erbschaften zu machen. Es ist nämlich denkbar, dass Erbschaften die Vermögensungleichheit verringern, auch wenn Reiche im Schnitt mehr erben als Arme.

Nehmen wir ein Zahlenbeispiel. Ein „armer“ Erbe mit 50‘000 Franken Vermögen erhält 100‘000 Franken, und sein Nachbar mit 5 Millionen Franken Vermögen erbt eine Million Franken. Der Reiche erbt zehnmal mehr als der Arme: Wer hat, dem wird vererbt.

Aber das Vermögen des Armen hat sich dank der Erbschaft verdreifacht, während das Vermögen des Reichen um bloss 20 Prozent gewachsen ist. Das Verhältnis ihrer Vermögen ist von 100:1 auf 40:1 gesunken. Obwohl der absolute Unterschied um 900‘000 Franken gewachsen ist, ist die Vermögensungleichheit gemäss aller gängigen Ungleichheitsmasse – Gini-Koeffizient, Perzentil-Verhältnisse, und wie sie alle heissen – geschrumpft.

Wenn 18 Prozent der Erbschaften Empfängern im Top-1-Vermögensprozent zugutekommen, klingt das zwar nach viel, aber der Anteil dieser gleichen Gruppe an den gesamten steuerbaren Vermögen liegt in der Schweiz mittlerweile über 40 Prozent. Die Top-1-Prozenter horten also einen grösseren Teil am Vermögenskuchen als sie gemäss der Berner Daten vom Erbschaftskuchen erhalten. Das würde bedeuten, dass sich Erbschaften ausgleichend auf die Vermögensverteilung auswirken.

Zu eben diesem Schluss kommt Peter Moser vom Statistischen Amt Zürich. In Zürcher Steuerdaten beobachtet er, dass die Vermögensdisparitäten unter Steuerzahlern im Alterssegment 57-67 markant zurückgehen. Da dies ein besonders stark von Erbschaften betroffener Lebensabschnitt ist, vermutet Peter Moser eine ausgleichende Wirkung der Erbschaften.

Meines Wissens gibt es in der Schweiz noch keine Studie, die den Effekt von Erbschaften und Schenkungen auf die Vermögensverteilung explizit und umfassend analysiert. (Die beiden vorliegenden Arbeiten lassen nur indirekt Rückschlüsse auf diesen Wirkungskanal zu.)

In Skandinavien sind solche Auswertungen dank einer besseren Datenlage möglich. Studien aus Dänemark und Schweden bestätigen, dass das Reich-Arm-Gefälle bei den Erbschaften etwas weniger stark ausfällt als bei den Vermögen. Die mittlerweile abgeschaffte schwedische Erbschaftssteuer scheint die Vermögensungleichheiten erstaunlicherweise eher verschärft als vermindert zu haben. Sie stellte nämlich trotz eines progressiven Steuertarifs einen höheren Anteil am Gesamtvermögen (Erbschaft plus existierendes Vermögen) von weniger vermögenden als von sehr vermögenden Erben dar.

Eine ebenfalls auf schwedische Daten gestützte aktuelle Studie zeigt hingegen auf, dass arme Erben ihr Erbe rascher aufbrauchen als reiche Erben. Über einen Zeitraum von zehn Jahren nach dem Erbgang konsumieren die meisten Leute ihr gesamtes Erbe. Dabei entfällt in den ersten Jahren nach der Erbschaft über ein Drittel dieses Konsums auf Autos. Zudem ist in den Daten auch ein zwischenzeitlicher Rückgang der Arbeitseinkommen erkennbar: viele Erben gönnen sich etwas mehr Freizeit.

Die grosse Ausnahme bilden Erben im Top-1-Vermögensperzentil. Deren geerbte Vermögen sind auch zehn Jahre nach Erhalt noch weitgehend intakt.

Der Unterschied beim Vermögensverzehr von Top-1-Prozentern und dem Rest der Bevölkerung führt dazu, dass Erbschaften in der langfristigen Betrachtung die Vermögensungleichheit halt doch vergrössern. Somit erscheinen Erbschaften durchaus wieder als potenzielle Treiber von dynastischer Vermögenskonzentration und langfristiger Ungleichheit.

Die Erkenntnisse aus den schwedischen Daten legen auch nahe, dass eine Erbschaftssteuer erst dann von oben nach unten umverteilt, wenn sie stark progressiv ausgestaltet ist. Konkret bedingt das eine markant stärkere Belastung des obersten Vermögensprozents. Die Erbschaftssteuer, über die wir 2015 abgestimmt haben, sah einen Freibetrag von 2 Millionen vor und wurde diesem Kriterium somit gerecht. Die noch existierenden kantonalen Erbschaftssteuern auf direkte Nachkommen jedoch haben viel tiefere Freibeträge – im Kanton Neuenburg zum Beispiel bei bloss 50‘000 Franken. Ob diese Steuern überhaupt progressiv wirken, ist unklar.

Fazit: Ärmere Erben erhalten anteilsmässig am bereits vorhandenen Vermögen eher mehr als reichere Erben, aber sie verbrauchen ihr Erbe auch schneller. In der langen Frist dürften Erbschaften die Vermögensungleichheit somit verstärken. In welchem Masse diese Befunde auf die Schweiz zutreffen, wissen wir nicht wirklich.

Schuldenbremse: Woher der Reform-Unwille?

Marius Brülhart

Wieso tut sich die Schweizer Politik so schwer mit der überfälligen Anpassung der Schuldenbremse?

Der Bundesrat freut sich auch dieses Jahr wieder auf ein über Erwarten rosiges Finanzergebnis. Er rechnet mit einem Überschuss von 2.8 Milliarden Franken – mehr als doppelt so viel wie budgetiert.

Hauptursache für die regelmässigen Rechnungsüberschüsse ist die unvollständige Ausschöpfung der gesprochenen Kredite. Dieses Phänomen hat nachvollziehbare Gründe und ist Ausdruck einer funktionierenden Verwaltung. Die budgetierten aber ungebrauchten Mittel betrugen in den letzten zwölf Jahren jeweils durchschnittlich 1.1 Milliarden. Eine seit 2017 geltende budgettechnische Flexibilisierung hat die jährlichen Kreditreste nur unwesentlich, auf ca. 0.9 Milliarden, gesenkt.

Der Bundesrat selber bezeichnet Budgetunterschreitungen infolge von Kreditresten denn auch als „systembedingt“.

Und trotzdem hat er sich unlängst ausdrücklich geweigert, die Schuldenbremse an diese Gegebenheit anzupassen.

Eine entsprechende Ergänzung des Regelwerks wäre vergleichbar mit der geläufigen Praxis der Fluggesellschaften, ihre Maschinen zu überbuchen, weil sie genau wissen, dass ein kleiner aber stetiger Anteil der gebuchten Passagiere die Reise letztlich nicht antritt. Ohne diese Praxis wären die Flugzeuge chronisch unterbelegt. Und ohne eine entsprechende Praxis weist der Rechnungsabschluss des Bundes eben chronisch Überschüsse aus.

Stattdessen schlägt der Bundesrat vor, den Budgetvollzug weiter zu flexibilisieren. Das Phänomen Kreditreste werden solche Massnahmen aber nicht aus der Welt schaffen. Dies wäre nur durch einen verschwenderischen Umgang mit öffentlichen Geldern zu erreichen, denn Budgetreste gehen unweigerlich mit einer effizienten Finanzkontrolle einher.

Woher also die Renitenz gegenüber einer Ergänzung der Schuldenbremse? Was spricht dagegen, die alle Jahre wiederkehrenden Kreditreste vorausschauend in der Budgetierung zu berücksichtigen?

Das Zögern der Politik liegt wohl zumindest teilweise daran, dass jegliche Anpassung der Schuldenbremse intuitiv als Lockerung verstanden wird; wobei man unter „Lockerung“ einen Anstieg der Staatsquote versteht. Beispielhaft dafür ist ein Beitrag von leitenden Ökonomen aus der Bundesverwaltung. Die Autoren sehen keinen akuten Bedarf nach zusätzlichen Bundesausgaben und somit auch keinen Anlass zu einer Anpassung der Schuldenbremse. Sie setzen eine Anpassung der Schuldenbremse also implizit gleich mit Zusatzausgaben.

Dies ist ein Missverständnis.

Es gibt zwar in der Tat Reformvorschläge, die in höheren Ausgaben münden würden. Gemäss dem Vorschlag der Expertenkommission jedoch wäre eine Ergänzung der Schuldenbremse mit einer Steuersenkung verbunden und nicht mit einer Ausgabenerhöhung. Also absolut staatquotenneutral.

Oder vielleicht will man auch bloss das Regelwerk nicht verkomplizieren. Die Luzerner Ökonomen Christoph Schaltegger und Michele Salvi sprechen von einer „komplexen Anpassung“, die erforderlich wäre. Technisch wäre die vorgeschlagene Ergänzung allerdings ziemlich simpel, denn man müsste bloss den existierenden Konjunkturfaktor um einen einfach berechenbaren administrativen Korrekturfaktor ergänzen.

Oder gründet der Unwille zur Reform letztlich in einer tiefen und nicht immer rationalen Aversion gegenüber Schulden jeder Art? Bekanntlich hat bei uns der Begriff „Schuld“ gleichzeitig ökonomische und moralische Bedeutung, wogegen beispielsweise die englische Sprache zwischen „debt“ und „guilt“ unterscheidet. Vielleicht präsentieren unsere Politiker ganz gerne unerwartete Überschüsse, und sehen darin mitnichten ein Marketingproblem.

Wie dem auch sei: Dass die Schweizer Steuerzahler Jahr für Jahr eine Milliarde Franken hinblättern für eine ökonomisch kaum mehr zu rechtfertigende Reduktion der ohnehin rekordtiefen nominellen Staatschuld, geht in dieser Diskussion gemeinhin vergessen.

STAF: Ein Kuhhandel, der einigermassen aufgeht

Fabian Schütz und Marius Brülhart

Am 19. Mai stimmen wir ab über das Steuerreform-AHV-Paket (STAF) – bekannt auch als parlamentarischer „Kuhhandel“.

Zentral ist dabei die Frage, ob der Handel für beide Parteien aufgeht: hier die grossen Aktionäre, die von der Steuerreform profitieren dürften, und dort der Rest der Bevölkerung, dem mit der AHV-Finanzierung geholfen werden soll.

Einer von uns beiden hat im vergangenen Sommer überschlagsmässig errechnet, dass sich die beiden Elemente des Pakets rein ökonomisch betrachtet nicht schlecht ergänzen. Die Umverteilung von unten nach oben bei der Steuerreform schien mittelfristig in etwa kompensiert zu werden durch die Umverteilung von oben nach unten beim AHV-Teil.

Wir haben diese Berechnungen nun etwas verfeinert, unterteilen die Bevölkerung aber nach wie vor alles andere als fein in Haushalte mit Einkommen im schweizweit obersten Dezil („Top-10“) und den Rest („U-90“).

Zum Steuer-Teil haben wir insbesondere folgende drei verteilungsrelevante Annahmen angepasst:

  • Wir berücksichtigen nun, dass die U-90 schätzungsweise 17% des schweizerischen Aktienkapitals direkt oder indirekt über Pensionskassen halten. Folglich profitieren auch die U-90 von Unternehmenssteuersenkungen.
  • Zusätzlich zu den Ausfällen bei der Unternehmenssteuern berücksichtigen wir Auswirkungen auf die Verrechnungs- und Dividendenbesteuerung.
  • Steuerausfälle auf Stufe Kanton und Gemeinden belasten die U-90 etwas stärker als die Top-10.

Die neuen Schätzungen sind in unten stehender Tabelle zusammengefasst.

Die Steuerreform kostet die U-90 gemäss dieser Schätzung 380 Millionen Franken. Den inländischen Top-10 hingegen fliessen 450 Millionen zu. Die Steuerreform allein hat also klar degressiven Charakter.

Um den degressiven Effekt im Sinne eines „sozialen Ausgleichs“ zu kompensieren, wurde die AHV-Vorlage an die Steuerreform gekoppelt.

Beim AHV-Teil haben wir die ursprüngliche Verteilungsschätzung in vier Punkten verfeinert:

  • Gestützt auf eine Metastudie nehmen wir an, dass mittelfristig 70% der Arbeitgeberbeiträge auf die Arbeitnehmer überwälzt werden.
  • Wir berücksichtigen nun, dass auf Top-10-Einkommen ein überproportional grosser Teil an AHV-Beiträgen abgeführt wird.
  • Bei der Aufteilung der gesicherten AHV-Renten berücksichtigen wir, dass die Top-10 Haushalte leicht mehr als 10% des gesamten Rentenvolumens beziehen.
  • Opportunitätskosten durch neu an die AHV gebundene Bundesausgaben werden analog zu den Steuerausfällen auf die beiden Gruppen aufgeteilt.

In der Summe kosten die Massnahmen zur AHV-Finanzierung die Top-10 ungefähr 280 Millionen, welche somit den U-90 zugutekommen. Der AHV-Teil der STAF ist also klar progressiv.

Im Total betrachtet kompensiert die progressive Wirkung des AHV-Teils die degressive Wirkung der Steuerreform nicht vollständig. Unter dem Strich gewinnen die Top-10 170 Millionen, und die U-90 verlieren knapp 100 Millionen. (Der Rest geht auf Kosten ausländischer Aktionäre.)

Pro-Kopf gerechnet bedeutet diese Schätzung einen Gewinn von rund 340 Franken bei den Top-10 Steuerzahlern und einen Verlust von 22 Franken bei den U-90. Ohne den AHV-Teil würden die Top-10 satte 900 Franken pro Kopf gewinnen und U-90 85 Franken pro Kopf verlieren.

Diese Berechnungen sind natürlich immer noch holzschnittartig. Der leicht degressive Nettoeffekt liegt im statistischen Streubereich. Wenn man beispielsweise eine Überwälzung der Arbeitgeberbeiträge auf die Löhne von 30% statt 70% annimmt, kommt man auf eine ausgeglichene Rechnung zwischen den beiden Gruppen.

Der ursprüngliche Hauptbefund hat jedenfalls Bestand: Der AHV-Teil der STAF bildet ein signifikantes Gegengewicht zur degressiven Verteilungswirkung der Unternehmenssteuerreform.

Eigenmietwert: Steuerschikane für sparsame Rentner?

Marius Brülhart und Christian Hilber

Unser NZZ-Gastbeitrag und der ergänzende Batz-Artikel zur vorgeschlagenen Reform der Wohneigentumsbesteuerung haben einige Leserreaktionen ausgelöst. Dabei wurde uns einmal mehr klar, wie vehement viele Hausbesitzer die Besteuerung des Eigenmietwerts missbilligen.

Exemplarisch dafür steht der Brief eines Lehrers im Ruhestand aus dem Zürcher Oberland. Nennen wir ihn zur Wahrung seiner Privatsphäre Herrn Hauser.

Zitat:
Meine Frau und ich, beide aus ärmlichen Verhältnissen, leisteten uns 1966 ein Fertighäuschen. Jeden Franken dazu mussten wir selber verdienen, auch mit Teilzeitarbeit meiner Frau. Unterstützung seitens der Eltern fehlte. Verzicht auf allen Gebieten war angesagt: Auto, Reisen, Essen. Die Zeit war hart, aber ich konnte die nötigen Zahlungen, u.a. Abzahlung 2. Hypothek, leisten. Für all diese Entbehrungen zahle ich nun diese in Notzeiten erfundene, eigentlich nicht zu begründende Sondersteuer auf Eigenmietwert von Fr. 18‘600 jährlich. Für das Sparen werde ich bestraft.

Das Unbehagen von Herrn Hauser ist auf den ersten Blick nachvollziehbar. Er und seine Frau müssen Steuern zahlen auf ein Naturaleinkommen, das sie sich unter langjährigen Anstrengungen selber erwirtschaftet haben – und dies in einem Lebensabschnitt, in dem sie den Gürtel möglicherweise eh schon etwas enger schnallen müssen.

Bei genauer Betrachtung jedoch kommt man zum Schluss, dass schuldenfreie Eigenheimbesitzer im Rentenalter trotz Eigenmietwertbesteuerung finanziell besser gestellt sind, sowohl gegenüber verschuldeten Eigenheimbesitzern im Rentenalter und erst recht gegenüber Mietern, die genau gleich sparsam durchs Leben gegangen sind.

Eine Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung würde diese gut gestellten Haushalte noch weiter privilegieren.

Unsere Überlegungen dazu sprengen den Umfang eines Batz-Artikels und können daher hier nachgelesen werden.

Schuldenbremse oder Schuldenrückwärtsgang?

Marius Brülhart, Patricia Funk, Christoph Schaltegger, Peter Siegenthaler und Jan-Egbert Sturm

Seit das Schweizer Stimmvolk 2001 die Schuldenbremse zog, geht es dem Bundeshaushalt prächtig. Die Bremse erwies sich gar als Rückwärtsgang: Bis 2016 schrumpfte die Verschuldung des Bundes von 124 auf 99 Milliarden Franken und von 26% auf 15% des BIP.

Dem bedrohlichen Schuldenanstieg der Neunzigerjahre konnte somit Einhalt geboten werden, und daher ist die Schuldenbremse ohne Zweifel als eine helvetische Erfolgsgeschichte zu bewerten. Sie wurde denn auch zum Exportschlager.

Die wiederkehrenden Überschüsse des Bundeshaushalts hatten allerdings auch ihren Preis.

In politischer Hinsicht verursachen sie ein gewisses Kommunikationsproblem. Es ist schwierig, Ausgabendisziplin und Sparanstrengungen durchzusetzen, wenn die Staatsrechnung Jahr für Jahr besser ausfällt als budgetiert.

Und in ökonomischer Hinsicht stellt sich die Frage, ob Schuldenabbau wirklich die effizienteste Verwendung der entsprechenden Mittel darstellt. Dieselben Gelder hätten nämlich auch für zusätzliche öffentliche Ausgaben eingesetzt werden können. Oder man hätte sie den Steuerzahlern gar nicht erst entziehen müssen.

In einem eben veröffentlichten Gutachten zu Handen des Bundesrates haben wir uns dazu Gedanken gemacht.

Einfach gesagt geht es darum, abzuwägen, wo künftige Überschüsse des Bundeshaushalts am besten aufgehoben wären: (a) wie gehabt beim Schuldenabbau, (b) bei zusätzlichen Ausgaben in Folgejahren oder (c) bei Steuererleichterungen.

Alle drei Verwendungszwecke haben ihre Vor- und Nachteile, und eine Klassierung kann weder rein wissenschaftlich noch wertefrei sein. Zudem sind natürlich auch Kombinationen der drei Mechanismen denkbar.

Dennoch haben wir uns auf eine Art „Rangliste“ einigen können.

Abgeschlagen auf dem dritten Platz landet die Option, Rechnungsüberschüsse für Mehrausgaben in künftigen Jahren zu verwenden.

Dahinter steht folgende Überlegung.

Ein Teil der jährlich wiederkehrenden Budgetreste erklärt sich dadurch, dass Budgetüberschreitungen für die betroffenen Verwaltungseinheiten kostspieliger sind als Budgetunterschreitungen – sowohl hinsichtlich der administrativen Umtriebe wie auch der Auswirkung auf die Reputation der Verantwortlichen. Somit haben Verwaltungseinheiten einen Anreiz, im Voraus generös zu budgetieren, um sich damit die Ungemach nachträglicher Budgetüberschreitungen möglichst zu ersparen. Zudem ist es für die Finanzverwaltung schwieriger, vorausschauende Budgetvorschläge zu prüfen als retrospektive Rechnungsabschlüsse. In diesem administrativen Gefüge ergibt sich somit im Endeffekt eine Tendenz zu Budgetunterschreitungen. (Aus dem Universitätsalltag kennen wir einen ähnlichen Mechanismus bei der Beantragung und Verwaltung von Forschungsgeldern.) Und da solche Überschüsse in erster Linie einer vorsichtigen (sprich: grosszügigen) Budgetierung entspringen, liegt der Schluss nahe, dass das optimale Ausgabenniveau eher bei den effektiven als bei den budgetierten Ausgaben liegt. Somit wäre es dann auch kaum sinnvoll, die anfallenden Budgetreste für künftige Ausgabenerhöhungen einzusetzen.

Deswegen stehen wir einer Erhöhung des Ausgabenplafonds im Umfang der zuvor angefallenen Budgetreste skeptisch gegenüber.

Wichtig: Damit äussern wir keine Meinung zur Angemessenheit des gegenwärtigen Umfangs der Bundesausgaben. Wir deuten lediglich darauf hin, dass die administrativen Budgetreste an sich kein Indiz für Unterversorgung an öffentlichen Leistungen sind.

Etwas schwieriger scheint uns die Abwägung zwischen Schuldenabbau und Steuersenkung.

Schuldenabbau macht die Staatsfinanzen widerstandsfähiger für künftige Negativereignisse, kostet aber Steuergelder – ein direkter Mittelverzicht für die Steuerzahler, der zudem unweigerlich gewisse Verzerrungswirkungen hat. In einem Ländervergleich sind Ökonomen des Internationalen Währungsfonds unlängst zum Schluss gekommen, dass sich ein weiterer Schuldenabbau für tief verschuldete Staaten wie die Schweiz kaum lohnt. Tiefere Steuern wären ökonomisch wertvoller als ein weiterer Schuldenabbau.

Im Prinzip spricht daher einiges für eine Stabilisierung des Schuldenstands und eine gleichzeitige Steuerreduktion im Umfang der wiederkehrenden Budgetreste. Eine Stabilisierung der Nominalschuld entspräche zudem dem Verfassungstext und würde angesichts von Wirtschaftswachstum und Teuerung immer noch einen allmählichen Abbau der Verschuldungsquote bedeuten.

Dies könnte erreicht werden mittels Einführung eines „administrativen Faktors“, der im Budget den prognostizierten Einnahmen zugeschlagen würde. Somit würde ex ante ein Defizit budgetiert welches sich ex post jedoch im Durchschnitt nicht bestätigt – vergleichbar mit einer Fluggesellschaft, die ihre Maschinen überbucht im Wissen darum, dass ein gewisser Prozentsatz der Passagiere letztlich nicht erscheint. Das politische Kommunikationsproblem wäre damit auch gelöst.

Allerdings wäre die Umsetzung einer solchen Anpassung nicht ganz ohne. Tarifänderungen bei der Mehrwertsteuer oder der direkten Bundessteuer sind politisch aufwändig und somit ziemlich langlebig. Daher müsste der „administrative Faktor“ auf Dauer verlässlich beziffert werden können. Insbesondere sollte dieser Faktor nicht überschätzt werden, denn dann würde man quasi Defizite vorprogrammieren.

Eine solche Schätzung wäre gegenwärtig jedoch besonders schwierig anzustellen. Seit Januar gilt nämlich das „Neue Führungsmodell der Bundesverwaltung“, welches die administrativen Budgetreste reduzieren dürfte. Das Ausmass dieser Wirkung ist jedoch überhaupt nicht schlüssig vorhersehbar. Zudem beruhte ein Teil der Überschüsse der letzten Jahre auf ausserordentlichen makroökonomischen Umständen: Jahr für Jahr fielen Zinsen und Teuerungsraten tiefer aus als prognostiziert. Es gibt gute Gründe, davon auszugehen, dass die Prognosefehler künftig kleiner und nicht mehr systematisch positiv sein werden.

Somit plädieren wir für eine vorläufige Beibehaltung des Status Quo. Falls die administrativ bedingten Budgetreste allerdings auch in ein paar Jahren noch signifikant bleiben sollten, könnte sich eine Anpassung der Schuldenbremse lohnen, und dies insbesondere im Zusammenhang mit allfälligen ohnehin in Betracht gezogenen Steuerreformen. Es gälte dannzumal allerdings auch, eine Globalbetrachtung anzustellen mit Einbezug der impliziten Verschuldung der AHV.

Lieber kontrolliert rückwärts als blindlings voraus.

Erbschaften auf Jahrhunderthoch

Marius Brülhart

Am 14. Juni stimmen wir ab über die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer. Somit ist die Studie von Thomas Piketty zur langfristigen Entwicklung der Erbschaften in Frankreich nun auch für die Schweiz von einigem Interesse.

Piketty zeigt auf, dass Erbschaften seit einem Tiefpunkt in den Nachkriegsjahren wieder stetig an Gewicht gewinnen. Gemäss seiner aktuellsten Schätzung beträgt der Umfang der Erbschaften und Schenkungen derzeit ungefähr 15% des Volkseinkommens und könnte bis zum Jahr 2060 wieder die wirtschaftliche Bedeutung des 19. Jahrhunderts erlangen.

Piketty hat in statistischer Hinsicht einigermassen leichtes Spiel, indem er sich auf Frankreich konzentriert. Dort werden Erbschaften seit 1791 nämlich umfassend registriert (und besteuert). Diese Errungenschaft der französischen Revolution beschert der Forschung sehr detailliertes und über die Zeit vergleichbares Datenmaterial.

Die Schweiz bietet uns keine solch reichen Datenschätze. Erbschaften werden seit je nur von den Kantonen besteuert und sind statistisch schlecht dokumentiert.

Andererseits hat die Eidgenossenschaft seit 1911 Vermögenssteuern erhoben, worauf basierend man Datenreihen zur Entwicklung der Privatvermögen erstellen kann. Mittels einer relativ einfachen Formel lässt sich das volkswirtschaftliche Gewicht der jährlich vererbten Summen indirekt messen. Die konkrete Umsetzung dieser Messmethode bedarf einiger zum Teil recht starker Annahmen und Annäherungen, doch angesichts des Interesses der Thematik habe ich in einem Arbeitspapier mit Elodie Moreau den Versuch gewagt.

Die unten stehende Grafik aus unserem Papier zeigt, wie sich der Anteil der Erbschaften und Schenkungen am Schweizer Volkseinkommen im Verlauf der letzten hundert Jahre entwickelt hat. Als Vergleich sind entsprechende Schätzwerte für Frankreich und Deutschland abgebildet.

Zur Zeit der Belle Epoque hatten Erbschaften in der Schweiz weniger Gewicht als in den beiden Nachbarländern. Unsere Schätzung für 1911 ist zwar um einiges unpräziser als diejenigen für spätere Jahre (daher die gestrichelte Linie), aber der errechnete Unterschied zwischen der Schweiz einerseits und Deutschland und Frankreich andererseits ist so gross, dass er wohl nicht bloss von Messfehler herrührt.

Umso eindrücklicher ist der Anstieg der Erbschaften in den letzten vier Jahrzehnten, von 5% im Jahr 1975 auf nunmehr über 13% des Volkseinkommens. Erbschaften in der Schweiz haben also offenbar eine seit mindestens hundert Jahren nicht erreichte Bedeutung erreicht – Tendenz weiterhin steigend.

In Franken ausgedrückt entspricht unser geschätzer Wert für 2011 einer vererbten Summe von 61 Milliarden. Extrapoliert auf 2015 (mittels der beobachteten Vermögenszuwachsraten von 2009 bis 2013) sind das gar 76 Milliarden Franken.

Die zunehmende Bedeutung der Erbschaften rührt von drei wichtigen Entwicklungen her. Erstens beobachtet man seit dem Ende der Nachkriegs-Boomjahre einen stetigen Anstieg der Vermögen relativ zu den Einkommen. Zweitens werden Menschen angesichts zunehmender Lebensdauer zum Zeitpunkt ihres Todes im Durchschnitt reicher. Und drittens wird der Umfang von Schenkungen zu Lebzeiten (die wir ebenfalls einberechnen) stetig grösser.

Was sagen uns diese empirische Befunde hinsichtlich der Besteuerung von Erbschaften? Einerseits liegt der Schluss nahe, dass der Fiskus das Steuersubstrat Erbschaft angesicht seiner steigenden Bedeutung nicht brachliegen lassen sollte, zumal die Erbschaftssteuer eine ökonomisch vergleichsweise verzerrungsarme Steuer darstellt. Einer Verschiebung der Steuerlast hin zu Erbschaften, und weg vom Faktor Arbeit und von den selber angesparten Vermögen, wäre aus ökonomischer Sicht wenig entgegenzuhalten.

Andererseits kann man daraus nicht schliessen, dass die Erbschaftsbesteuerung auf Bundesebene zu geschehen hat. Gemäss meiner früheren Studie mit Raphaël Parchet reagieren vermögende ältere Menschen nämlich kaum auf Veränderungen bei der Erbschaftsbesteuerung. Die Kantone könnten Erbschaften somit durchaus stärker besteuern, ohne Furcht vor Steuerwettbewerb.

Schliesslich gilt es zu bemerken, dass eine Zunahme der Erbflüsse nicht zwangsläufig eine wachsende dynastische Konzentration von Grossvermögen bedeutet. Piketty selber stellt fest, dass die Erbschaften der Gegenwart breiter und gleichmässiger verteilt sind als vor hundert Jahren (er spricht etwas süffisant von „petits rentiers“). Wir wissen nicht, wie es in der Schweiz um die Entwicklung der Ungleichheit unter Erben, und zwischen Erben und Nichterben, bestellt ist. Ein blendendes Thema für ein nächstes Forschungsprojekt.

Erbschaften in % des Volkseinkommens

(Was) würde uns eine Abschaffung der Pauschalsteuer kosten?

Marius Brülhart

Gemäss NZZ „hätte die Abschaffung der Pauschalsteuer einen wirtschaftlichen Preis“. Die Frage lautet demnach einzig, wie hoch dieser Preis zu stehen käme – oder anders ausgedrückt, wie viel Steuer- und BIP-Franken uns das zusätzliche Stück Steuergerechtigkeit kosten würde. Der Autor des Artikels drückt sich zwar vorsichtig aus, prognostiziert aber dennoch „eine Einbusse der jährlichen Wertschöpfung in Milliardenhöhe sowie ein Verlust von Arbeitsplätzen in vier- oder fünfstelliger Höhe“.

Ob eine Annahme der Initiative überhaupt volkswirtschaftliche Nettokosten verursachen würde, scheint kaum jemand zu bezweifeln. Doch können wir tatsächlich mit Gewissheit davon ausgehen, dass uns eine Annahme der Initiative per Saldo etwas kosten würde?

Die rote Null, welche die Pauschalsteuer-Abschaffung dem Zürcher Fiskus beschert hat, ist ein gewichtiger Hinweis darauf, dass sich dieses Steuer-Instrument in fiskalischer Hinsicht nicht unbedingt lohnt.

Demgegenüber führt die NZZ zwei Bedenken ins Feld. Erstens generieren Pauschalbesteuerte durch ihren Konsum Wertschöpfung, welche wiederum Arbeitsplätze, Einkommen und damit verbundene zusätzliche Steuereinnahmen nach sich zieht. Und zweitens muss man nicht nur das Verhalten der existierenden Pauschalsteuerzahler betrachten sondern auch bedenken, wie sich eine Abschaffung dieser Steuer auf künftige Zuzüge reicher Ausländer niederschlagen würde.

Beide Aspekte sind absolut relevant, doch ihre Beurteilung ist nicht ganz so einfach, wie man meinen könnte.

Nehmen wir den Wegfall von Konsum durch Pauschalbesteuerte. Wäre dieser wirklich so gravierend, wenn ca. ein Drittel dieser Steuerzahler die Schweiz verlassen würde (eine angesichts der Zürcher Erfahrungen plausible Grössenordnung)? Auch hier hängt der Nettoeffekt nicht nur davon ab, wie viele wegziehen würden, sondern auch, wie die verbleibenden Ex-Pauschalbesteuerten reagieren würden. Ein oft übersehener Effekt der Pauschalbesteuerung ist nämlich, dass sie für die betroffenen Steuerzahler Anreize schafft, in der Schweiz auf relativ kleinem Fuss zu leben. Gerade nach ihren Ausgaben hierzulande richtet sich ja ihre Steuerrechnung. Somit liegt es im Interesse eines Pauschalbesteuerten, seine Steuerresidenz in der Schweiz relativ bescheiden zu halten, und die wirklich grossen Ausgaben irgendwo im Ausland zu tätigen. Dazu kommt, dass den Pauschalbesteuerten eine wirtschaftliche Tätigkeit in der Schweiz untersagt ist. Somit werden diese Ausländer davon abgehalten, ihr Kapital und unternehmerisches Talent in unserem Land einzusetzen – was beispielsweise in Vitznau zu reichlich bizarren Diskussionen führt.

Die nach einer Abschaffung verbleibenden Ex-Pauschalbesteuerten hätten also Anreize, sowohl ihren persönlichen Konsum wie auch ihre unternehmerische Tätigkeit zumindest teilweise vom Ausland in die Schweiz zu verlagern. Es ist durchaus vorstellbar, dass dieser Anreizeffekt die wegzugsbedingten Verluste teilweise oder ganz wettmachen könnte.

Was die künftigen Zuzüge reicher Ausländer betrifft, gilt dieselbe Logik wie bei den bereits hier niedergelassenen Pauschalbesteuerten: Dass es ohne Pauschalsteuer weniger wären, steht ausser Frage. Aber dass gar keine derartigen Personen mehr zuziehen würden, wie im Artikel implizit angenommen, ist absolut unrealistisch. Ein Teil der derzeit anwesenden Pauschalbesteuerten wäre auch ohne dieses Steuerprivileg in die Schweiz gezogen, und andere würden das auch ohne Pauschalsteuer in der Zukunft tun. Ihnen offeriert die Pauschalbesteuerung einen klassischen Mitnahmeeffekt – Steuerersparnisse, auf welche sie eigentlich zu verzichten bereit wären ohne der Schweiz den Rücken zu kehren.

Unter dem Strich schlüge eine Pauschalsteuer-Abschaffung daher sowohl in fiskalischer wie auch in gesamtwirtschaftlicher Sicht nicht unbedingt negativ zu Buche. Möglicherweise verkaufen wir uns derzeit zu billig.

Erblasser sind träge

Marius Brülhart

Endlich ist es soweit: Meine Studie mit Raphaël Parchet zum Zusammenhang zwischen Erbschaftssteuern und Mobilität – im Batz schon vor bald vier Jahren angekündigt – hat nun auch das wissenschaftliche Gütesiegel einer internationalen Publikation verpasst bekommen. Fürs SECO-Magazin „Die Volkswirtschaft“ haben wir dazu einen erläuternden Bericht geschrieben.

Etwas vereinfachend können unsere Resultate auf drei Beobachtungen reduziert werden:

  1. Wohlhabende Rentner bewegen sich infolge von interkantonalen Unterschieden bei der Erbschaftssteuerbelastung kaum. Unser geschätzter Wert der Erbschaftssteuerelastizität für Rentnerhaushalte im obersten Einkommensdezil beträgt -0.09 – also nahe bei null.
  2. Diese Trägheit des Steuersubstrats zieht nach sich, dass kantonale Erbschaftssteuersenkungen auch langfristig mit Steuereinbussen verbunden sind. Unten stehende Grafik macht das deutlich.
  3. Die kantonalen Erbschaftssteuersenkungen der vergangenen drei Jahrzehnte wurden überwiegend mit dem Argument des Wettbewerbs um mobile Steuerzahler gerechtfertigt. Angesichts unserer ersten beiden Feststellungen handelte es sich allerdings um einen „imaginären Steuerwettbewerb“.

Zwei kleine Seitenhiebe kann ich mir vor diesem Hintergrund nicht verwehren. Erstens schreibt der Bundesrat in seiner Botschaft zur hängigen Erbschaftssteuerinitiative punkto Wanderungsreaktionen auf Erbschaftssteueränderungen (S. 142): „Empirische Untersuchungen bezüglich der Bedeutung dieses Problems liegen nicht vor.“ Dies dürfte nunmehr nicht mehr behauptet werden.

Und zweitens kann die Befürchtung, eine nationale Erbschaftssteuer würde zu „einem Einbruch des Steuersubstrats von Bund und Kantonen“ führen, getrost in der Kategorie Schauermärchen klassiert werden.

Andererseits ist die Erbschaftssteuer halt doch eine Steuer und zieht somit gewisse – wenn auch vergleichsweise geringe – ökonomische Verzerrungswirkungen nach sich. Die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer sollte somit explizit an die entsprechende Erleichterung einer anderen, schädlicheren Steuer gekoppelt sein. Gerade dies tut die hängige Initiative jedoch nicht, und da liegt ihre Achillesferse.

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Steuerwettbewerb in der Schweiz: Ein Auslaufmodell?

Marius Brülhart und Kurt Schmidheiny

Was geneigte Batz-Leser schon lange wussten und Avenir Suisse bestätigt hat, wird nun auch vom Bundesrat anerkannt: Der Finanzausgleich schränkt die Anreize für aggressiven Steuerwettbewerb massiv ein. Im eben erschienenen Wirksamkeitsbericht 2012-2015 zum Finanzausgleich zwischen Bund und Kantonen hält der Bundesrat fest, dass „ein ressourcenschwacher Kanton beim geltenden (progressiven) Umverteilungsmechanismus des Ressourcenausgleichs wenig Anreize hat, sein Ressourcenpotential zu steigern“ (S. 9). Die Grenzabschöpfungsquote, d.h. der Anteil vom mittels erfolgreicher Standortpolitik angelocktem Steuersubstrat welcher via Finanzausgleich verloren geht, beläuft sich bei den Empfängerkantonen auf „im Durchschnitt rund 80 Prozent“.

Es ist also, als würden einem erfolgreichem Empfängerkanton pro frisch angezogenem Steuerfranken 80 Rappen vom Bund und den anderen Kantonen gleich wieder weggenommen. Im politischen Sprachgebrauch gelten solche Steuersätze als „konfiskatorisch“, und man geht gemeinhin davon aus, dass sie so ziemlich jeglichen Ansporn zu wirtschaftlicher Leistung unterbinden.

Angesichts dieser Tatsache mag es erstaunen, dass der Bundesrat in seinem Communiqué zum Wirksamkeitsbericht gleichzeitig feststellt, dass sich der Steuerwettbewerb seit der Neuordnung des Finanzausgleichs im 2008 „eher intensiviert“ hat. Haben die Kantone denn nicht verstanden, dass sich strategische Steuersenkungen kaum bezahlt machen? Oder spielten andere Faktoren mit, welche die Anreizeffekte des Finanzausgleichs neutralisierten?

Diese Fragen schlüssig zu beantworten, ist nicht leicht. In unserer Hintergrundstudie für den Wirksamkeitsbericht erklären wir das Paradox folgendermassen: „Es ist methodisch unmöglich, den scheinbar verstärkten Steuerwettbewerb schlüssig auf die NFA zurückzuführen, denn wir verfügen über keine ‚Kontrollgruppe‘. Die leichte Aufstockung der Mittel in der NFA gegenüber dem alten System könnte durchaus einen Anteil zu den beobachteten Tendenzen beigetragen haben. Zudem ist denkbar, dass die Grenzabschöpfungsquoten vor der NFA noch höher gelegen hatten [diese sind für den alten Finanzausgleich schlicht nicht berechenbar]. Andererseits boten auch die Konjunktur und Nationalbankausschüttungen den Kantonen gleichzeitig mit der NFA-Einführung finanzpolitischen Spielraum für Steuerermässigungen. Die überdurchschnittlichen Steuersenkungen der Empfängerkantone hatten überdies bereits vor 2008 eingesetzt und scheinen daher zumindest nicht allein von der NFA ausgelöst worden zu sein.“ (S. 3)

Etwas spekulativ könnte man daraus schliessen, dass der Appetit auf Steuerwettbewerb im heutigen System langfristig nachlassen dürfte, da die Kantonsmehrheit auf der Empfängerseite die Mechanik des neuen Finanzausgleichs zu berücksichtigen gelernt hat. Zudem stehen die konjunkturellen Vorboten heute auch nicht so prächtig wie vor zehn Jahren, was die Lust auf Hau-Ruck-Steuersenkungen weiter hemmen dürfte.

Fast alle in unserer Hintergrundstudie benutzten Daten können Sie übrigens auf der Internetseite fiscalfederalism.ch selbst analysieren, und dies sowohl für natürliche Personen wie auch für juristische Personen. Als Appetitanreger auf die Darstellungsmöglichkeiten unseres Daten-Tools hier eine Grafik, die anhand der Kantone Neuenburg, Obwalden und Schwyz zeigt, wie sich die Anzahl lukrativer Steuerzahler im umgekehrten Verhältnis zur Steuerbelastung verändert hat. In unserer Studie schätzen wir die durchschnittliche Steuerelastizität von Haushalten im obersten Einkommensdezil auf -0.6. Reiche Haushalte können somit tatsächlich mittels Steuersenkungen angelockt werden – allerdings längst nicht in einem Ausmass, welches erlauben würde, die Steuern zu senken, ohne Einnahmeausfälle in Kauf nehmen zu müssen. Auch diese Erkenntnis deutet darauf hin, dass aggressive Steuersenkungen keine besonders zukunftsträchtige Strategie darstellen.

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Pauschalsteuer: Neues aus dem Baselbiet

Marius Brülhart

Irgendwann in den nächsten zwei Jahren werden wir über die landesweite Abschaffung der Pauschalsteuer abstimmen. Dabei geht es, wie die Botschaft des Bundesrates trefflich festhält, um eine Güterabwägung im „Spannungsfeld zwischen Standortattraktivität und Steuergerechtigkeit“.

Dass die Steuergerechtigkeit mit der Pauschalsteuer verletzt wird, anerkennt auch der Bundesrat. Ausländern werden gegenüber gleich reichen Schweizern Steuerprivilegien offeriert. Das läuft der horizontalen Steuergerechtigkeit („gleiche Behandlung Gleicher“) zuwider. Und reiche Ausländer kommen dank der Pauschalbesteuerung in den Genuss von tieferen Steuersätzen als weniger reiche, nicht pauschalbesteuerte Personen. Somit wird auch der vertikalen Steuergerechtigkeit (progressive Steuerbelastung) nicht entsprochen.

Angesichts der ethischen, steuersystematischen und möglicherweise aussenpolitischen Makel der Pauschalbesteuerung wird das rein ökonomische Kalkül matchentscheidend. Lohnt sich dieses System für uns, in harten Franken und Rappen ausgedrückt, derart, dass wir seine etwas abstrakteren Schönheitsfehler in Kauf zu nehmen bereit sind?

In der ökonomischen Betrachtung kommt den Steuereinnahmen zentrale Bedeutung zu. Es geht darum, ob und in welchem Ausmass diese bei einer Abschaffung der Pauschalsteuer sinken würden. Niemand wird bestreiten, dass viele der knapp 6’000 Pauschalbesteuerten dank dem Steuerprivileg in die Schweiz gezogen sind. Ebenso unbestritten ist, dass gewisse Pauschalbesteuerte auch ohne fiskalische Vorzugsbehandlung hier wohnen würden, und die Aufwandbesteuerung quasi als ungefragtes Geschenk dankend annehmen (der Ökonom spricht von Mitnahmeeffekten). Je höher der Anteil ersterer Steuerzahler, d.h. jener, die ohne Pauschalsteuer nicht in der Schweiz wohnen würden, desto höher die Steuerausfälle nach einer allfälligen Abschaffung.

Die Erfahrung des Kantons Zürich deutet darauf hin, dass die Pauschalbesteuerten gar nicht so mobil sind wie oft angenommen. Die Abschaffung der Pauschalsteuer war aus Sicht der Zürcher Steuereinnahmen in etwa neutral, denn die zusätzlichen Einnahmen auf verbliebene ehemals Pauschalbesteuerten machten die wegzugbedingten Steuerausfälle ziemlich genau wett.

Nun haben wir auch erste Angaben zum Kanton Baselland, wo die Pauschalbesteuerung seit Anfang dieses Jahres nicht mehr gilt. Die Fallzahlen sind so klein, dass man sich vor Verallgemeinerungen hüten muss. Von 16 ehemals Pauschalbesteuerten sind bisher 8 ins Ausland oder in einen anderen Kanton weggezogen. Wie sich das auf die kantonalen Steuereinnahmen auswirkt, wird man erst im Frühjahr 2014 wissen. Aber bereits jetzt kann man festhalten, dass es erstaunlich ist, dass offenbar ein geraumer Anteil der betroffenen Personen dem Baselbiet die Stange hält. Baselland ist nämlich umgeben von Kantonen mit tieferer Steuerbelastung (plus intakter Pauschalbesteuerung!). Zudem hat Baselland im Einkommensbereich zwischen 500’000 und 1 Million Franken die vierthöchste Grenzsteuerbelastung der Schweiz (s. hier, Seite 16), und auch die Vermögenssteuersätze sind relativ hoch (Seite 51).

Falls also sogar im Kanton Baselland, mit seinen nahe gelegenen steuerlich attraktiveren Alternativdestinationen, ein Drittel bis die Hälfte der Ex-Pauschalbesteuerten nicht wegzieht, dann ist es schwer vorstellbar, dass im Falle eine landesweiten Abschaffung mehr als die Hälfte der Pauschalbesteuerten abwandern würde. Aber die Abschaffung der Pauschalsteuer führt gemäss meiner groben Schätzung erst bei einer Abwanderungsrate von über 50% zu Netto-Steuerausfällen.

Die Baselbieter Zahlen liefern somit einen weiteren kleinen Hinweis darauf, dass die Pauschalsteuer nicht das Bombengeschäft ist, für welches sie oft gehalten wird.