Warum der Euro scheitert

Ein Ende der Euro-Krise ist leider ebenso wenig in Sicht wie ein einfacher Ausweg, schreibt Prof. Gebhard Kirchgässner in Replik auf einen Vortrag von Prof. Heiner Flassbeck an der HSG.

Von Gebhard Kirchgässner

Heiner Flassbeck weiss es ganz genau, und er hat es in einem öffentlichen Vortrag, der an der Universität St. Gallen stattfand, allen erklärt: Die Eurozone steckt in einer Währungskrise, und diese wird dazu führen, dass sie spätestens in fünf Jahren auseinanderbrechen wird. Er sieht nur zwei Möglichkeiten. Entweder steigen die südlichen Länder aus und führen wieder eine eigene Währung ein, die dann stark abgewertet werden müsste, oder die gesamte Eurozone gerät in eine massive Krise.

Flassbeck weiss auch, warum dies so sein wird: Der Euro scheitert, weil die Inflation in Deutschland seit Einführung des Euro zu gering war. Deutschland hat sich nach seiner Auffassung nicht an die Abmachung gehalten, die mit der Einführung der gemeinsamen Währung verbunden war: die Preise jährlich um 2 Prozent steigen zu lassen. Deshalb sind die Lohnstückkosten in Deutschland sehr viel weniger stark angestiegen als insbesondere in den südlichen Ländern der Eurozone, aber auch als in Frankreich.

Dies hat die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder beeinträchtigt. Da ihnen das traditionelle Mittel einer Abwertung nicht mehr zur Verfügung stand, musste diese Währungskrise eintreten. Die Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre war zwar der Auslöser, aber nicht die Ursache für die heutige Währungskrise in der Eurozone.

Währungsunion ermöglicht keine Abwertung
Hinter dieser Analyse steckt eine Grundüberzeugung: Der vielleicht nicht ausschliessliche, aber in jedem Fall dominierende Faktor für die Preisentwicklung sind die Löhne: Lohnstückkosten und Preise bewegen sich in einer Wirtschaft nahezu parallel. Die Geldpolitik ist nicht – oder bestenfalls am Rande – verantwortlich für die Preisentwicklung.

An dieser Analyse ist einiges richtig und auch gar nicht umstritten. Eine wesentliche Ursache für die Krise der Eurozone ist tatsächlich die unterschiedliche Entwicklung der Lohnstückkosten und daher der Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Länder in der Eurozone. Traditionell konnte man die damit verbundenen Probleme durch eine Abwertung zumindest vorübergehend bereinigen. Diese Möglichkeit ist freilich in einer Währungsunion nicht mehr gegeben.

Die interne Abwertung, d.h. die Anpassung (möglichst) aller Löhne und Preise nach unten aber ist sehr viel schmerzhafter als die Abwertung einer eigenen Währung. Dies zeigt sich heute in Griechenland und Spanien sehr deutlich. Hier ist tatsächlich einiger Sprengstoff vorhanden, und wenn eine Möglichkeit für einen geregelten Ausstieg zur Verfügung stünde, wäre dies für diese Länder sicher eine ernsthaft zu erwägende Option.

Werden wir von aufgestauter Inflation überrascht?
Es ist auch richtig dass die Geldpolitik allein nicht in der Lage ist, die Preisentwicklung zu erklären. Da die Länder der Eurozone gemeinsam der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) unterliegen, mag zwar die durchschnittliche Preisentwicklung durch die Politik der EZB bestimmt sein, aber sie hat keinen Einfluss auf die Differenzen zwischen diesen Ländern. Auch hat die starke Ausweitung der (eng definierten) Geldmenge, bestehend aus Bargeld und Sichteinlagen, bisher keinen Einfluss auf die Preisentwicklung gehabt.

Daraus freilich zu schliessen, dass die Geldpolitik überhaupt keinen Einfluss mehr auf die Preisentwicklung hat, ist zumindest voreilig. Zum einen wissen wir aus der Vergangenheit zu gut, dass eine zu expansive Geldpolitik die Inflation anheizt.

Die Inflation zu Beginn der 90er-Jahre in der Schweiz wurde nicht durch hohe Lohnsteigerungen ausgelöst, sondern im Wesentlichen dadurch, dass die Auswirkungen der Einführung des elektronischen Bankenclearings SIC auf der Reservehaltung der Banken von der Nationalbank unterschätzt wurden, weshalb ihre Geldpolitik in den Jahren 1988 und 1989 (unbeabsichtigterweise) sehr expansiv war, was in den Folgejahren die Preise stark ansteigen liess. Zweitens ist unbestritten, dass Hyperinflationen ohne eine massive Ausweitung der Geldmenge nicht denkbar sind. Und schliesslich wissen wir noch nicht, ob wir nicht in einiger Zeit von einer aufgestauten Inflation überrascht werden, wenn sich die wirtschaftliche Lage gebessert haben sollte.

Deutschland hielt sich ans Inflationsziel
Auch die Schuldzuweisung an Deutschland ist problematisch. Zum einen lautet das Inflationsziel der EZB nicht genau 2 Prozent; die Inflationsrate sollte nicht über, sondern eher unter, aber nahe bei 2 Prozent liegen. Betrachtet man die Preisentwicklung in Deutschland seit Einführung der Währungsunion, dann sind (nach den Daten der Deutschen Bundesbank) die Konsumentenpreise durchschnittlich um 1.6 Prozent und die Erzeugerpreise um 2.3 Prozent pro Jahr gestiegen.

Die Erzeugerpreise, die vor allem Lohnsteigerungen reflektieren, sind somit sogar stärker gestiegen als vorgesehen. Nimmt man die Daten von Eurostat, betrug die durchschnittliche deutsche Inflationsrate zwischen 2001 und 2008, d.h. bis zum Ausbruch der Krise, 1.9 Prozent pro Jahr, die griechische dagegen 3.5 Prozent und die spanische 3.1 Prozent. Nach diesen Zahlen war es offensichtlich nicht Deutschland, das sich nicht an das Inflationsziel gehalten hat.

Zur Abwendung der zu erwartenden Katastrophe sieht Flassbeck nur einen Weg: Die Löhne und damit auch die Preise müssten in Deutschland kräftig steigen. Er sieht jedoch selbst, dass dies wenig realistisch ist. Er glaubt zwar, die Politik könne dies gleichsam anordnen, aber wie dies in einem Land geschehen soll, in dem die Löhne immer noch weitestgehend durch die Tarifpartner festgelegt werden, bleibt offen.

Ausserdem ist zu bedenken, dass Deutschland, das vor einem Jahrzehnt noch als kranker Mann Europas galt, die Fortschritte, die es insbesondere durch die Reformen der zweiten Regierung Schröder gemacht hat, sicher nicht leichtfertig aufs Spiel setzen wird.

Ausstieg aus der Eurozone – aber wie?
Als Alternative fordert Flassbeck einen kontrollierten Ausstieg der Krisenländer aus der Eurozone, aber wie dies genau geschehen soll, darauf bleibt er die Antwort schuldig. So bleibt als Fazit, dass man seiner Analyse zwar in erheblichen Teilen zustimmen kann, ihr in anderen Bereichen aber widersprechen muss, und dass für die Lösung der Probleme wohl nach wie vor nur zwei Optionen zur Verfügung stehen:

Entweder führen die internen Abwertungen, so schmerzhaft sie auch sind, dazu, dass sich die Lohnstückkosten der verschiedenen Länder annähern, oder es fällt doch noch irgendjemandem ein, wie man einen geregelten Ausstieg aus der Eurozone bewerkstelligen kann. So ergibt sich als – durchaus ernüchterndes – Fazit aus diesem Vortrag, dass wir davon ausgehen müssen, dass die Krise noch lange anhalten wird und dass wir immer noch keine einfache Lösung für sie gefunden haben.

2 thoughts on “Warum der Euro scheitert

  1. Naive Frage an die Experten, warum sollen die Kriesenländer die Eurozone verlassen und nicht Deutschland? Ohne Deutschland könnte man den Euro „kontrolliert“ abwerten – zumindest genau so kontrolliert, wie ein Ausstieg der Kriesenstaaten – und das würde vermutlich jedem der verbleibenden Euro Staaten entgegen kommen. Für Deutschland und auch die Schweiz wäre das möglicherweise ein eher ungünstiges Szenario, weil damit der CHF und die neue DM sich gegenüber dem Euro übermässig überbewertet werden könnten. Damit aber würden die beiden Wirtschaften „gebremst“ und die verbliebenen Euroländer können wieder aufholen. Und das wollte man mit dem Euro initial doch erreichen?

  2. Mit einem Ausstieg von Deutschland könnte dies auch bedeutend schneller gehen. Es gäbe keinen Run auf die Banken um Bargeld abzuheben. Auch wäre die Akzeptanz in Deutschland für eine eigene Währung viel grösser.
    Eventuell könnten noch ein paar andere starke Länder in einen solchen Währungswechsel miteinbezogen werden.

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